Mit ihrem an Buurtzorg erinnernden Konzept und einer ganzen Schippe Digitalisierung will das Pflege-Start-Up kenbi den Markt für Pflege neu denken. Mittlerweile versorgt das Unternehmen laut eigenen Angaben bereits mehr als 1.000 Menschen in Deutschland. Wir haben mit dem Co-Founder, Clemens Raemy über das besondere Konzept des Unternehmens und die Zukunft des Marktes gesprochen.


Herr Raemy, kenbi sagt: „Wir verändern die ambulante Pflege“ – wie wollen Sie dies anpacken?

Raemy: Es sind sicherlich zwei Hauptthemen – zum einen das Humanitäre: Wie gehe ich mit meine*n Mitarbeiter*innen um? Und zum zweiten – wie kann ich Technologie verwenden, um die Pflege effizienter zu gestalten? Denn wenn man die Pflege effizienter gestaltet hat man mehr Zeit sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern – die Betreuung und die Pflege der Kunden*innen.

Auf der Seite der Pflegekräfte haben wir uns an dem niederländischen Buurtzorg-Modell orientiert. Wir konnten zwar für uns nicht alles übernehmen, aber gute Anleihen ausarbeiten. Wir haben viele kleine Teams mit maximal 12, minimal 6 Mitarbeiter*innen, damit jeder Standort für sich eine Pflegezulassung hat.

Dabei organisiert sich jedes Team selbst; soll heißen: Jeder Standort bestimmt für sich welche Kunden*innen er betreuen will, mit wem er zusammenarbeiten will. Auch der Touren- und Dienstplan wird von jedem Team eigenständig ausgearbeitet.

Kenbi Gründer Katrin Alberding, Bruno Pires, Clemens Raemy

Damit das funktioniert hat jedes Teammitglied, ähnlich wie bei Buurtzorg, neben der Pflegerolle auch noch eine Teamrolle. Wir haben dabei vier verschiedene Rollen:

Büroheld*in – die kümmern sich um das Lager und Nachbestellungen

Planungsgenie – das sind in der Regel PDL bzw. stellvertretende PDL und erstellen den Touren- und Dienstplan

Personal Trainer*in – jene zeichnen sich verantwortlich für die Fortbildung der Mitarbeiter*innen und sorgen dafür, dass Familie und Beruf vereinbar ist.

Qualitätsmeister*in – du fährst Touren mit und prüfst, ob es den Kunden gut geht und Kunden*innen gut geht und die kenbi Qualitätsstandards eingehalten werden.

Und das großartige an dem Konzept – wenn du 70 Prozent in deiner Pflegerolle verbringst und 30 Prozent in deiner Teamrolle, dann kannst du eine Vollzeitstelle ohne Teildienste füllen. Unsere Mitarbeiter*innen starten also morgens mit einer vier bis fünf Stunden Tour, gefolgt von ein bis zwei Stunden Arbeit in der Teamrolle- über sechs Tage gemessen kommt man somit ohne weiteres auf eine 40-Stunden-Woche und die Teildienste fallen weg.
Das ist für uns ein wichtiger Bestandteil in der Pflege.

Die meisten Mitarbeiter*innen sind nun mal Mitarbeiterinnen – und Mütter. Und über 45 Prozent bei uns sind alleinerziehende Mütter. Da ist es schwierig, wenn du morgens nicht da bist, wenn die Kinder in die Schule gehen und nachmittags nicht, weil du Teildienst hast, wenn die Kinder aus der Schule kommen. Genau dort setzt unser Ansatz an. Wir machen nur noch einen Dienst pro Tag plus der Teamrolle.

Um das Ganze auch zu finanzieren, kommt der zweite Punkt zur Sprache – die Technologie. Du kannst heutzutage viele Effizienz schaffen, welche nicht bezahlte Arbeitszeit sind. Bestes Beispiel: Fahrtenbuch. Man muss in der Pflege für das Auto ein Fahrtenbuch führen – bei jedem Kunden*innen Besuch verbringst du so gut eine Minute damit dort handschriftlich einzutragen was der Kilometerstand zum Anfang und zum Ende der Fahrtstrecke war. In einer Tour ist das gut eine halbe Stunde – das geht bei uns automatisch, da sparen wir 30 Minuten. 

Genauso das Abhaken von Leistungen – wenn man zum Kunden hinfährt, liest unsere App unseren Mitarbeiter*innen vor was dort zu tun ist und was man über den Kunden wissen muss. Somit kommen unsere Mitarbeiter*innen bereits vorbereitet an und sparen sich zwei bis drei Minuten pro Pflegebesuch ein.

Die so eingesparte Zeit können wir demzufolge unseren Kunden*innen zur Verfügung stellen.

Wenn Sie kenbi in einem Satz zusammenfassen müssten, wie würde dieser lauten?

Raemy: „Der Pflege die Selbstbestimmung zurückgeben.“

Wo sehen Sie die Fallstricke, um einen Pflegedienst zukunftsorientiert zu betreiben?

Raemy: Das große Problem der Pflege ist der Pflegefachkräftemangel. Zumindest hört man das ja von überall.

Wir glauben nicht, dass dies das Kernthema ist. Es gibt unserer Meinung nach zu viele Ineffizienzen in der Pflege und es verlassen zu viele Menschen die Pflege, weil sie unglücklich sind. Daran muss man ansetzen.

Uns ist daher die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter*innen am wichtigsten, da wir davon ausgehen, dass zufriedenere Mitarbeiter*innen bessere Pflege machen. Und wenn Leute glücklich sind, bleiben sie auch im Beruf.

Zudem kann man die Arbeit effizienter gestalten. Deutschland hat einen Fachkräftemangel von 500.000 fehlenden Mitarbeiter*innen – 300.000 haben die Pflege aber verlassen, wovon 200.000 bereit wären zurückzukommen, wenn die Konditionen stimmen. Man könnte also bereits einen großen Teil der Lücke schließen.

Was wir zudem festgestellt haben – im Vergleich zu unseren Anfängen vor zwei Jahren – konnten wir bereits 45 Prozent der Zeit, die zuvor durch Fahrtenbücher, Dokumentation etc. in Beschlag genommen wurde, durch Technologie einsparen. 

Ergo – wenn wir die Pflege doppelt so effizient machen wie sie heute ist und die Konditionen so weit verbessern, dass die 200.000 Leute zurückkommen wollen, hätte man das große Problem des Fachkräftemangels in Deutschland gelöst. Da wollen wir ansetzen. So kann man Pflege zukunftsorientiert machen. Doch dafür braucht man Kapital.

Und ganz ehrlich? Eigentlich ist jeder Pflegedienst dadurch bestraft, dass wir Mehrwertsteuer befreit sind. Wenn wir also neue Dienstleistungen, wie Technologie, von außen einkaufen, kostet uns das immer 19 Prozent extra, weil wir die Mehrwertsteuer zwar bezahlen müssen, aber nicht absetzen können. 

Wenn man also ein kleiner Pflegedienst ist, kann man sich nicht viel leisten – und aufgrund der Mehrwertsteuerregelung ist es für dich sogar noch teurer als für den Rest des Marktes. Es sind also langer Atem und tiefe Taschen gefordert. Somit war auch für uns klar, dass wir Investoren brauchen.

Darf man Fragen welche das sind?

kenbi Logo

Wir haben angefangen mit Heartcore, das ist ein dänischer Fonds mit einem Berliner-Büro, und mit Headline aus Berlin. Das war die erste Runde. In der zweiten Runde kam dann Redalpine aus der Schweiz dazu und seit wenigen Tagen dürfen wir einen neuen Fonds an unserer Seite begrüßen, welchen wir in Kürze kommunizieren werden.


Mit Ihrer eigenen App zeigen Sie ja bereits, dass Sie an der Digitalisierung arbeiten. Wie wichtig ist diese Ihrer Meinung nach?

Raemy: Wir haben ja nicht nur eine App – wenn wir uns die Pflege anschauen, dann ist das ein Prozess. Dieser beginnt mit dem Einstellen von Mitarbeiter*innen. Hierfür haben wir die kenbi Jobs-App. Nach einem Erstgespräch im Team brauchen wir natürlich dennoch eine zentrale Steuerung für die Arbeitsverträge und die Abrechnung etc. 

Bei uns füllen alle Bewerber*innen bei der Vorstellung im Büro ein Formular aus, dann erhält man eine Textnachricht mit dem Link zur App. In der App wird dir dann angezeigt, wann dein Probetag ist, man kann Dokumente hochladen, bis hin zur digitalen Unterschrift des Arbeitsvertrages.

Sobald man bei uns anfängt braucht man Tools für das Personalmanagement – will man seine IBAN oder seine Adresse ändern? Die Anzahl der Stunden usw.? Dafür haben wir kenbi Büro, welches dies als App alles online in unser System hochlädt und dafür sorgt, dass alles am Laufen bleibt.

Dann geht es in den pflegerischen Bereich selbst. Da gibt es verschiedene Angebote wie Medifox etc. – wir arbeiten hier mit NOVENTI Care als Basis zusammen, welche im Hintergrund läuft. Die App, die unsere Mitarbeiter*innen nutzen haben wir selbst entwickelt, die setzt aber auf Noventi auf, das ist später wichtig für die Abrechnung.

Wir sind so organisiert, das über Bluetooth die Türen der Büros aufgehen, wenn die Mitarbeiter*innen kommen, dass sich das Fahrtenbuch automatisch aktualisiert und all dies.

Für unsere Fortbildung haben wir ebenfalls eine eigene App – kenbi Campus. Da kann man digitale Fortbildungen machen. Zeitgleich haben wir kenbi Schulen, wo man physisch vor Ort auch die Ausbildung zur PDL machen kann. 

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie im Pflegemarkt?

Raemy: Die Herausforderung ist, dass man das „Konzept der anderen Mitarbeit“, wie wir es leben, größer vermarkten und mehr nach Außen kommunizieren muss. Ich sehe das ähnlich wie Buurtzorg – die haben auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie sie es machen, damit es möglichst viele nachmachen. Wir mit kenbi sehen das genauso. Wenn neue Leute kommen können sie es dann gerne mit uns machen – wir finanzieren auch gerne neue Büros, oder sie machen es selbst und verändern den eigenen Dienst. Das ist uns auch recht. Aber man muss den Pflegenotstand angehen – und der Schlüssel ist dabei die Mitarbeiter*innen zufrieden zu machen und die Effizienz zu steigern. Und das steuert man nicht über das Gehalt. In der Pflege verdient man heutzutage gutes Geld. Es hängt damit zusammen, dass sich Leute ausgenutzt fühlen. Das müssen wir ändern.

Und die Chancen?

Raemy: Auf kenbi bezogen – der deutsche Markt ist so kleinteilig, dass es keinen Marktführer gibt. Nicht einmal HomeInstead hat einen wirklich nennenswerten Anteil am Markt. Zudem ist es ein Franchise-Modell. Da sehen wir die Chancen für kenbi ganz klar zur Führungsposition aufsteigen können – und das ist eine Chance auf mehr glücklichen Mitarbeiter*innen und Kunden*innen.

Über den Interviewpartner

Clemens Raemy ist Co-Founder bei kenbi – nach einigen Jahren Auslandserfahrung hat der Absolvent der Harvard Business School sich nun für den Pflegemarkt entschieden. Raemy arbeitete in Südamerika, als seine Großmutter in Deutschland gepflegt werden musste. Die Idee für Kenbi sei aus der fehlenden Möglichkeit heraus entstanden, die Pflegekräfte seiner Großmutter digital zu unterstützen.

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