Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus, die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Julian Mirski, Geschäftsführer bei der Unternehmensgruppe Dr. Mirski, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview mit ihm unter anderem darüber gesprochen, welche Veränderungen er sich in der Pflegebranche wünscht, welche technologischen Entwicklungen die Pflege entlasten könnten und welche Trends seiner Meinung nach die Branche am stärksten prägen werden.

Was war Ihre bisher größte Herausforderung als Führungskraft – und wie haben Sie sie gemeistert? 

Mirski: Die größte Herausforderung bestand darin, den Personalschlüssel kontinuierlich zu erfüllen und damit eine sichere, hochwertige Versorgung sicherzustellen. Dies haben wir durch eine ganzheitliche, langfristig angelegte und vor allem nachhaltige Personalstrategie erreicht. Ein zentraler Baustein war das Konzept „Mitarbeiter werden Mitarbeiter“: deutlich höhere Bewerberqualität bei gleichzeitig schnellerer Rekrutierung.  

Darüber hinaus setzen wir auf proaktives Auslandsrecruiting, um dem bundesweiten Fachkräftemangel in der Pflege wirksam entgegenzutreten. Durch strategische Zielgruppenansprache und eine reibungslose Integration neuer Mitarbeitender konnten wir den Bedarf besser decken, Fluktuation senken und die Versorgungsqualität stabilisieren. Die Kombination aus nachhaltiger Personalentwicklung, einer attraktiven Arbeitgebermarke und internationaler Rekrutierung hat für eine nachhaltige und strategische Ausrichtung gesorgt. 

Wie hat sich Ihre Sicht auf Führung in der Pflege seit Ihrem Einstieg verändert? 

Mirski: Die Führung in der Pflege ist deutlich kollegialer geworden. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass Zusammenarbeit immer auf Augenhöhe erfolgen muss -von einer rein fachlich-hierarchischen Denkweise hin zu einem Fokus auf menschliche Fähigkeiten: Anerkennung, aktive Einbindung von Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse, sozial-aktive Kommunikation und eine klare, wertschätzende Struktur bilden heute das Fundament. Das Ergebnis ist bei uns klar sichtbar: Ein starkes Team und nachhaltige Verbundenheit. 

Welches Buch oder welchen Podcast würden Sie jungen Führungskräften in der Pflege empfehlen? 

Mirski: Neue Leadership-Ansätze in der Pflege 

Welche strukturellen Probleme in der Pflege sind Ihrer Meinung nach noch zu wenig im Fokus? 

Mirski: Ein zentrales, oft zu wenig beachtetes Thema ist die Integration EDV-gestützter Pflegedokumentation in den Praxisalltag. Der enge Personalschlüssel lässt kaum Zeit, Mitarbeitende systematisch an digitale Dokumentationsprozesse heranzuführen. Die Einführung neuer Systeme braucht Zeit für Schulung, Einarbeitung und Begleitung. Nur mit ausreichend Zeit und Ressourcen lässt sich die EDV-gestützte Pflegedokumentation tatsächlich realisieren. 

Welche Veränderungen wünschen Sie sich in der Pflegebranche? 

Mirski: Ich wünsche mir zwei zentrale, verlässliche Veränderungen: erstens einheitliche finanzielle Strukturen und zweitens eine stabile Finanzierungssicherheit über alle Versorgungsformen hinweg (stationär, ambulant und teilstationär) – sowohl für Betreiber von Pflegeeinrichtungen als auch für Kliniken. Ein transparentes, nachvollziehbares Finanzierungssystem schafft Planungssicherheit, erleichtert Investitionen in Personal, Digitalisierung und Qualitätssicherung. 

Das Gesundheitssystem sollte auf stabilen, staatlich vorfinanzierten Fundamenten stehen. Der Staat müsste eine verlässliche Grundfinanzierung gewährleisten, damit Einrichtungen unabhängig von kurzfristigen Budgetschwankungen arbeiten können. Gesundheit sollte im Vordergrund stehen – nicht die Frage „Wie ist die Finanzierung gewährleistet?“, sondern „Wie lässt sich eine gute Versorgung nachhaltig sicherstellen?“. Das ermöglicht eine patientenzentrierte Versorgung, bessere Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende und langfristige Strategien für Innovation, Prävention und integrierte Versorgung. 

Wie erleben Sie den Einsatz digitaler Tools in Ihrer Einrichtung – eher als Hilfe oder als Belastung? 

Mirski: Um die Frage offen und ehrlich zu beantworten: Oftmals als Belastung. EDV-gestützte Programme sind teilweise sehr komplex und beanspruchen Zeit, die dann bei der Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner fehlt. Die Tools sollten Erleichterung schaffen und nicht negativ auf die Bewohnerinnen und Bewohner wirken – so auch die Rückmeldungen meiner Mitarbeitenden, die direkt am Menschen arbeiten. 

Gleichzeitig besteht Potenzial: Wenn digitale Systeme strategisch eingesetzt, gut integriert und durch gezielte Schulungen begleitet werden, können sie eine erhebliche Hilfe sein. Sie können die Effizienz steigern, die Zusammenarbeit verbessern und Lernprozesse unterstützen. Die zentrale Herausforderung bleibt jedoch, wie bereits erwähnt, der konkrete Personalschlüssel – erst damit wird der Implementierungsaufwand tragfähig und realistisch in den Arbeitsalltag integrierbar. 

Welche technologischen Entwicklungen könnten Ihrer Meinung nach die Pflege wirklich entlasten? 

Mirski: Beobachtet man den technischen Fortschritt und den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf den Pflegesektor, sehe ich folgende Erleichterungen: 

  • Optimierung der Dokumentation und Pflegeprozesse durch Automatisierung administrativer Aufgaben, damit mehr wertvolle Zeit für die direkte Bewohnerbetreuung bleibt. 
  • Weiterbildung mit KI-Lernplattformen: Schnelle, zielgerichtete Lernwege, damit Mitarbeitende ihr Wissen dem sich wandelnden Gesundheitsumfeld anpassen und besser auf Bewohnerbedürfnisse reagieren können. 
  • KI-Unterstützung in der Pflege und Gesundheitsüberwachung: Individuelle, KI-generierte Pflegepläne, maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. 

Als Führungskraft bin ich mir bewusst, dass KI Pflegepersonal unterstützen und entlasten, dennoch die menschliche Betreuung im Alltag nicht ersetzen kann, da Mitarbeitende das größte Kapital sind. 

KI ist weiterhin ein Buzzword – Welche KI-Lösung würden Sie heute nicht mehr hergeben? 

Mirski: Unser Pflegecockpit. Eine Softwarelösung für Planung und Dokumentation von Pflegeleistungen, Risiko-Erkennung, frühzeitige Auswertung und personalisierte Behandlungs- und Optimierungspflege sowie die KI-gestützte Sprachdokumentation mit Voize. Die positive Auswirkung: Zeitersparnis, was wiederum unseren Bewohnerinnen und Bewohnern zugutekommt, da mehr sinnvolle Zeit in die Pflege und Betreuung investiert werden kann – unser Hauptziel. 

Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Branche am stärksten prägen? 

Mirski: Meiner Meinung nach, wird der Trend der Kompetenzentwicklung und Ausbildungsqualität stark die Branche prägen, da Pflegefachhelfer zunehmend mehr Befähigungen, durch das in der Theorie erworbene Wissen, erhalten. Gleichzeitig droht eine Verzerrung, wenn die einjährige Ausbildung als Standard gilt. Die Diskrepanz zwischen theoretischer Befähigung und praktischer Umsetzung wird besonders bei der einjährigen Ausbildung sichtbar. Eine klare Abgrenzung von Kompetenzen, klare Ausbildungsanforderungen und valide Zertifizierungen sind nötig, um Qualität dauerhaft sicherzustellen. Der Kerntrend ist eine vernetzte Entwicklung aus höheren Ausbildungsstandards, gezielten Fort- und Weiterbildungen sowie fairer Vergütung. Der Zusammenhang zwischen Qualifikation, Vergütung und der Anstieg der Kosten von Pflegeplätzen wird stärker in den Fokus rücken. Der Pflegeschlüssel muss gehoben werden, um Qualität, Sicherheit und Bewohnerwohl dauerhaft zu sichern. 

Zudem muss noch erwähnt werden, dass diejenigen, die sich gezielt weiterentwickeln oder spezialisieren wollen, maßgeblich zur Qualität beitragen. Fehlende Perspektiven erhöhen Fluktuation und beeinflussen den Personalschlüssel negativ. 

Welche Entwicklungen im Markt beobachten Sie aktuell mit besonderem Interesse? 

Mirski: Insolvenzen bei stationären, teilstationären und ambulanten Einrichtungen nehmen zu. Was mir Besorgnis bereitet, ist, dass besonders Pflegedienste unter hohem Druck stehen: Finanzierungslücken, steigende Kosten und Fachkräftemangel treffen strukturell aufeinander. Die Situation spiegelt sich flächendeckend wider und macht deutlich, wie dringend stabile Finanzierungs- und Förderstrukturen, transparente Vergütungen sowie bessere Personalplanung und Qualifizierung nötig sind, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. 

Was möchten Sie als Führungskraft in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten?

Mirski:

  • Förderung positiver Werbung und mediale Kommunikation für den Pflegeberuf: Sichtbarkeit erhöhen, Berufe attraktiv darstellen und junge Talente gewinnen. 
  • Mitgestaltung der Finanzierung des Pflegesystems: faire, stabile Finanzierung sicherstellen, Deckelung von Gehaltsgefügen im Pflegebereich prüfen und Tarifsteigerungen sinnvoll integrieren. 
  • Gewährleistung der Anerkennung anspruchsvoller Fachausbildung: Pflegeberufe sind anspruchsvoll; klare Karrierepfade und hohe Ausbildungsqualität fördern. 
  • Realisierung besserer Aufstiegschancen: Höhere Schulabschlüsse als Türöffner für Ausbildungsplätze und Weiterbildungen nutzen; Qualität durch zunehmende Professionalisierung sichern und mehr Bildungschancen eröffnen. 
  • Entwicklung einer Perspektive zur Personalgewinnung: Rückführung auf heimische Fachkräfteprioritäten und transparente, nachhaltige Recruiting-Modelle entwickeln; soweit nötig, behutsam Auslandskapazitäten berücksichtigen, aber langfristig auf qualifiziertes Personal aus dem Inland setzen. 

Über den Interviewpartner

Julian Mirski von der Unternehmensgruppe Mirski im Interview

Julian Mirski

Im Mittelpunkt unseres Handelns steht der Mensch. Als 43 Jahre etabliertes Familienunternehmen mit 500 Mitarbeitenden wachsen wir kontinuierlich – durch die Erweiterung unserer Dienstleistungen und den Neubau von Pflegeeinrichtungen. Dadurch finden immer mehr Menschen aus der Region eine berufliche Heimat, pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner in den Landkreisen Niederbayerns ein Zuhause. Wir setzen dabei die höchsten Standards im Pflegesektor. Unser Ziel ist es, in der Region Niederbayern führend im Dienstleistungsbereich der Pflege zu sein.“