Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus, die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Carsten Kropp, Geschäftsführer der aiutanda Westerwald GmbH, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview mit ihm unter anderem über KI-Lösungen in der Pflege, welche strukturellen Probleme seiner Meinung nach noch zu wenig im Fokus sind und was seine bisher größte Herausforderung als Führungskraft war, gesprochen.
Was war Ihre bisher größte Herausforderung als Führungskraft – und wie haben Sie sie
gemeistert?
Kropp: Als ich bei aiutanda gestartet bin, habe ich zwei Standorte übernommen, die organisatorisch stark angeschlagen waren. Das war eine Extremsituation: Chaos in den Strukturen, Unsicherheit im Team, kaum Vertrauen. Mir war schnell klar, dass ich erst Stabilität schaffen muss, bevor ich etwas Neues aufbauen kann. Ich habe versucht, präsent zu sein, zuzuhören und verbindlich zu handeln – also wirklich das zu tun, was ich sage. Mit klaren Prozessen, ehrlicher Kommunikation und Geduld haben wir das Ruder herumgerissen. Heute steht die aiutanda Westerwald auf einem soliden Fundament, mit einem starken Team und klaren Strukturen.
Wie hat sich Ihre Sicht auf Führung in der Pflege seit Ihrem Einstieg verändert?
Kropp: Früher dachte ich, Menschen übernehmen automatisch Verantwortung und gestalten, wenn man sie ihnen gibt. Heute weiß ich: Das ist nicht selbstverständlich. Gute Führung bedeutet, den Rahmen zu schaffen, in dem sich Menschen entfalten können – und zugleich Strukturen und Orientierung zu geben. Ich lege heute viel mehr Wert auf das „Wie“ der Zusammenarbeit. Für mich zählt nicht nur, was jemand fachlich leistet, sondern auch, wie er oder sie Teil der Gemeinschaft ist. Führung heißt für mich heute: Haltung zeigen, Entscheidungen treffen, aber immer mit einem klaren Blick für die Menschen im Team.
Welches Buch oder welchen Podcast würden Sie jungen Führungskräften in der Pflege
empfehlen?
Kropp: Ich lese und höre tatsächlich viel, aber wenn ich eines mitgeben kann, dann ist es weniger ein konkretes Buch, sondern eher eine Haltung: Offen bleiben, sich regelmäßig mit anderen Führungskräften austauschen und aus Erfahrungen lernen. Gerade in der Pflege entwickelt sich so viel – da ist persönlicher Austausch oft wertvoller als jede Theorie.
Welche strukturellen Probleme in der Pflege sind Ihrer Meinung nach noch zu wenig im
Fokus?
Kropp: Ein großes Thema ist der Föderalismus. Wir haben 16 Bundesländer, die alle ihre eigenen Regelungen, Anforderungen und Qualifikationsstandards haben. Das macht es unglaublich kompliziert, überregional zu arbeiten. In Rheinland-Pfalz gelten zum Beispiel ganz andere Carsten Kropp – aiutanda November 2025 Vorgaben als in Nordrhein-Westfalen – wie etwa beim Einsatz von Pflegehilfskräften. Dazu kommt, dass auch die Kommunen unterschiedlich funktionieren. Das führt zu bürokratischen Hürden und erschwert es, Projekte oder Konzepte bundesweit einheitlich umzusetzen.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich in der Pflegebranche?
Kropp: Ich wünsche mir mehr Einheitlichkeit und weniger Bürokratie. Es braucht klare, bundesweit geltende Rahmenbedingungen, damit Pflegeeinrichtungen verlässlicher planen können. Außerdem sehe ich ein großes Finanzierungsproblem – vor allem beim betreuten Wohnen. Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, fallen dort oft durchs Raster, weil Mieten oder Leistungen nicht als „angemessen“ gelten. Die „Alternative“ für diese Menschen ist dann manchmal das Pflegeheim. Das ist absurd, denn am Ende zahlt die Gesellschaft im stationären Bereich viel mehr. Hier wünsche ich mir ein Umdenken, damit ambulante und teilstationäre Konzepte stärker gefördert werden.
Wie erleben Sie den Einsatz digitaler Tools in Ihrer Einrichtung – eher als Hilfe oder als
Belastung?
Kropp: Ganz klar als Hilfe. Wir arbeiten seit Jahren stark digital – von der Pflegedokumentation bis zur Tourenplanung. Das erleichtert den Alltag enorm, spart Zeit und macht Abläufe transparenter. Ich bin überzeugt, dass digitale Lösungen kein Zusatz, sondern Standard sein müssen. Natürlich bedeutet jede Einführung auch Aufwand, weil Routinen sich ändern und Prozesse angepasst werden müssen. Aber langfristig ist der Gewinn an Effizienz und Qualität deutlich größer. Digitalisierung entlastet – wenn man sie richtig einführt und konsequent nutzt.
Welche technologischen Entwicklungen könnten Ihrer Meinung nach die Pflege
wirklich entlasten?
Kropp: Ich sehe großes Potenzial in sprachgestützter Dokumentation und KI-gestützter Planung. Wenn beispielsweise eine Software Dienst- oder Tourenpläne automatisch erstellt und individuelle Wünsche, Qualifikationen und gesetzliche Vorgaben berücksichtigt, wäre das eine enorme Entlastung. Auch hybride Besprechungen, digitale Protokollierung oder elektronische Abrechnungssysteme sparen Zeit und schaffen Transparenz. Wichtig ist aber, dass Tools miteinander kompatibel sind – Insellösungen bringen niemandem etwas.
KI ist weiterhin ein Buzzword – welche KI-Lösung würden Sie heute nicht mehr
hergeben?
Kropp: Eine der spannendsten Entwicklungen ist für mich die automatisierte Dokumentation und Prozessoptimierung. Wir testen aktuell Systeme, die Aufnahmeprozesse digitalisieren und Interessentenmanagement mit KI-Unterstützung steuern. Das spart nicht nur Zeit, sondern sorgt für mehr Struktur und Nachvollziehbarkeit. Auch in der Pflegeorganisation wird KI künftig vieles erleichtern – etwa bei der Datenauswertung oder Tourenoptimierung. Ich sehe darin enormes Potenzial, um Pflegekräfte von administrativen Aufgaben zu entlasten.
Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Branche am stärksten prägen?
Kropp: Digitalisierung und Fachkräftesicherung sind und bleiben die bestimmenden Themen. Dazu kommt die zunehmende Spezialisierung von Versorgungsformen – also Kombinationen aus Pflege, Wohnen und Betreuung. Einrichtungen müssen flexibler werden, um auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren zu können. Gleichzeitig werden Themen wie Nachhaltigkeit und Arbeitgeberattraktivität wichtiger: Wer in Zukunft Pflege gestalten will, muss beides zusammendenken.
Welche Entwicklungen im Markt beobachten Sie aktuell mit besonderem Interesse?
Kropp: Nach einer Phase der Unsicherheit sehe ich wieder Bewegung im Markt. In den vergangenen Jahren haben steigende Kosten und neue gesetzliche Vorgaben viele Einrichtungen stark belastet – teilweise bis zur Insolvenz. Jetzt spüre ich wieder mehr Mut und Investitionsbereitschaft. Es wird wieder gebaut, übernommen und neu gedacht. Das zeigt, dass Vertrauen in den Pflegemarkt zurückkehrt und die Branche Stabilität gewinnt.
Was möchten Sie als Führungskraft in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten?
Kropp: Ich möchte dazu beitragen, dass Pflege moderner, digitaler und gleichzeitig menschlicher wird. Es braucht mehr Mut, neue Wege zu gehen – sowohl in der Organisation als auch in der Zusammenarbeit. Mein Ziel ist es, Strukturen zu schaffen, in denen Menschen gerne arbeiten und Klient:innen bestmöglich versorgt sind. Wenn uns das gelingt, dann ist Pflege nicht nur ein Beruf, sondern eine gemeinsame Aufgabe mit Sinn.

