Die Pflegebranche steht weiterhin vor großen Herausforderungen, wie man an den kürzlich bekanntgemachten Insolvenzen von großen Betreibern wie kenbi und Argentum sieht. Doch es gibt Persönlichkeiten, die mit ihrer Vision und ihrem Engagement neue Wege aufzeigen. Wir konnten in einem exklusiven Interview mit Konrad Bengler von Oxylis über seinen Weg in die Pflege, die Motivation hinter dieser Entscheidung und die ersten Schritte in der Branche sprechen. Zudem gewährt er Einblicke in die strategische Ausrichtung und Vision seines Unternehmens.
Was hat Sie dazu bewegt, in die Pflege einzusteigen – und wie sah Ihr beruflicher Start damals aus?
Konrad Bengler: Mein beruflicher Weg hat von Anfang an in der Pflege begonnen. Nach meinem Schulabschluss habe ich ein freiwilliges soziales Jahr absolviert – das war mein Einstieg in die Pflegewelt. Von dort aus habe ich mich kontinuierlich weiterentwickelt: vom Krankenpfleger über die Intensivpflege bis hin zur Stations- und Pflegedienstleitung. Es war eine klassische Karriere innerhalb der Pflege.
Später habe ich den Schritt in die Industrie gewagt – zunächst in der Hilfsmittelversorgung, dann in die Medizintechnik. Über zehn Jahre war ich bei der Linde AG tätig, zuletzt fünf Jahre als Geschäftsführer von Remeo Deutschland. Nach dem Verkauf von Remeo an opseo habe ich verschiedene Stationen durchlaufen, bevor ich schließlich zu Korian kam. Dort war ich zwei Jahre lang Geschäftsführer im ambulanten Bereich. Im Anschluss habe ich die Plattform Oxylis Deutschland gegründet und im Rahmen eines Management-Buy-Outs vier große ambulante Dienste von Korian übernommen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer organischen und anorganischen Wachstumsstrategie in Bezug auf Geografie, Sektoren und Größe?
Konrad Bengler: Wir haben mit der Übernahme der vier Korian Dienste eine solide Plattform geschaffen, auf der wir weiter aufbauen wollen. Unser Ziel ist es, ein umfassender Versorger im Bereich vor der stationären Pflege zu sein – sowohl im Bereich der Standardversorgung als auch der Intensivversorgung. Gerade Letztere ist für uns strategisch besonders relevant, da ich selbst mit Remeo aus diesem Bereich komme und wir hier gezielt wachsen möchten. Zwar schließen wir kleinere stationäre Einheiten nicht aus – insbesondere im Bereich der Intensivpflege und im Einklang mit den IPREG-Vorgaben – aber unser Fokus bleibt klar auf der ambulanten Versorgung.
Pflegemarkt: Was genau verstehen Sie unter „vor der stationären Versorgung“?
Konrad Bengler: Damit meinen wir das gesamte Spektrum an Leistungen, die Klienten helfen, so lange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben. Das beginnt sehr niederschwellig bei hauswirtschaftlichen Hilfen und reicht über die Pflegegrade hinweg bis hin zu intensiveren Versorgungsleistungen. Ganz neu in unserem Portfolio ist ab Juli auch die Vermittlung von 24-Stunden-Betreuungskräften aus Osteuropa – ein Angebot, das oft noch vor der Entscheidung zur stationären Pflege steht. Dieses Segment ergänzt unser Leistungsspektrum ideal, gerade auch im Falle, dass Klienten im stationären Umfeld nicht zurechtkommen und wieder aus der Einrichtung nach Hause zurückkehren möchten. Hier ist die Kombination mit einer 24-Stunden-Versorgung oft der einzige Weg.
Pflegemarkt: Gibt es weitere Felder, in denen Sie wachsen möchten?
Konrad Bengler: Ja, auch das betreute Wohnen sehen wir als Segment vor der stationären Pflege. Hier bleiben wir offen für Opportunitäten. Wenn es passende Immobilien oder Kooperationsmöglichkeiten gibt – etwa mit Trägern, die betreutes Wohnen anbieten, aber keinen eigenen ambulanten Dienst betreiben möchten – sind wir interessiert, gemeinsam neue Einheiten aufzubauen. Unser ambulantes Know-how und die entsprechenden Strukturen bringen wir gerne ein.
Pflegemarkt: Sie sprachen zu Beginn auch von organischem und anorganischem Wachstum. Wie sieht das konkret aus?
Konrad Bengler: Beides spielt eine zentrale Rolle. Wir übernehmen bestehende ambulante Dienste – aktuell haben wir zwei bis drei in der Pipeline – aber wir setzen auch stark auf Neugründungen. Ein Beispiel dafür ist unser jüngster Greenfield-Start in Koblenz, ein weiterer folgt ab Juli in Berlin. Interessierte können gerne Informationen auf unserer Internetseite www.oxylis.de/pflegedienst-gruenden/ verfolgen – dort laden wir gezielt dazu ein, mit uns gemeinsam zu gründen.
Pflegemarkt: Was bedeutet das genau – gemeinsam gründen?
Konrad Bengler: Wir bieten engagierten Pflegedienstleitungen, die den Wunsch haben, selbst etwas aufzubauen, aber das finanzielle Risiko scheuen, eine echte Alternative. Wir sind kein Franchise-Geber. Wer mit uns gründet, muss kein Startkapital mitbringen. Stattdessen erwarten wir Know-how, ein Netzwerk und ein Startteam von drei bis fünf Pflegefachkräften – das ist die Voraussetzung für die Beantragung eines Versorgungsvertrags. Wir kümmern uns um den Rest: IT, Fahrzeuge, Büroinfrastruktur, Verwaltung und die Vertragsbeantragungen. Und: Die Mitgründer erhalten eine Gewinnbeteiligung. Das bedeutet, sie tragen kein Risiko, haben aber unternehmerischen Anteil am Erfolg. So entsteht echte Motivation, verbunden mit unternehmerischer Freiheit.
Pflegemarkt: Das klingt nach einem sehr integrativen Modell. Was ist Ihre übergeordnete Vision dabei?
Konrad Bengler: Wir wollen mehr sein als nur ein Versorger – wir wollen ein Partner für Pflegekräfte mit Unternehmergeist sein. Unsere Plattform soll ihnen ermöglichen, ihre eigene Idee von guter Pflege umzusetzen – wirtschaftlich gesichert, aber mit eigenem Gestaltungsfreiraum. Damit fördern wir nicht nur Wachstum, sondern auch Qualität und Innovation in der Pflege.
Welche Stimmung nehmen Sie aktuell bei den Pflegekräften und Patienten wahr, nachdem es in den vergangenen Monaten vermehrt zu Insolvenzmeldungen in der Pflegebranche gekommen ist?
Konrad Bengler: Ehrlich gesagt – keine spürbare. Ich habe den Eindruck, dass viele unserer Pflegekräfte diese Entwicklungen gar nicht aktiv verfolgen, etwa über LinkedIn oder in den Fachmedien. Für sie scheint das Thema im Arbeitsalltag wenig präsent zu sein. Und bei unseren Klienten ist es vermutlich ähnlich – sie bekommen davon schlicht nichts mit. Auch aus unserem Team, etwa von den Pflegedienstleitungen oder anderen Mitarbeitenden, haben wir bislang keinerlei Rückmeldungen dazu erhalten. Es spielt in unserer täglichen Arbeit derzeit keine Rolle.
Auf welche digitale Errungenschaft der letzten 12 Monate könnten Sie nicht mehr verzichten?
Konrad Bengler: Durch unsere Neugründung hatten wir die einmalige Chance, unsere digitale Infrastruktur von Grund auf neu zu denken – und zu gestalten. Dabei konnten wir eine Plattform aufbauen, die aus unserer Sicht nicht nur State of the Art, sondern vielleicht sogar noch ein Stück darüber hinausgeht.
Im Zentrum steht dabei die snap-Software von Euregon – unser zentrales Steuerungsinstrument. Das System bildet den Kern unserer digitalen Prozesse. Wenn Sie mich also fragen, worauf ich nicht mehr verzichten könnte – dann ist es dieses System. Natürlich gäbe es auch vergleichbare Softwarelösungen, aber wir haben uns bewusst für snap entschieden und darauf unsere digitale Landschaft aufgebaut.
Unser Ziel war es von Anfang an, alle Systeme intelligent zu vernetzen. So nutzen wir beispielsweise Personio für das HR-Management und CareMates als vorgeschaltetes System zur Klientenaufnahme – übrigens waren wir mit unter den ersten, die CareMates überhaupt eingesetzt haben. Ergänzt wird das Ganze durch Pflegecampus, das wiederum direkt mit snap verknüpft ist.
Unser gesamter Betrieb läuft digital über diese Plattform: von der Patientenadministration über die Pflegedokumentation, Dienstplanung, Abrechnung bis hin zum Mahnwesen. Diese umfassende digitale Vernetzung war und ist unser strategischer Anspruch.
Wenn Sie einen Wunsch an unsere Gesundheitsministerin äußern könnten, was würden Sie sich für die Pflege wünschen?
Konrad Bengler: Ich würde mir wünschen, dass die Pflegeversicherung für die ambulante Pflege in Deutschland grundlegend anders gesteuert wird. Aus meiner Sicht liegt hier eine gravierende Fehlsteuerung vor. Derzeit werden Leistungen so kanalisiert, dass Versicherte oft versuchen, möglichst viel „aus der Pflegeversicherung herauszuholen“, um ihre alltäglichen Lebenshaltungskosten zu decken.
Ein Beispiel: Jemand mit Pflegegrad 4 erhält rund 1.780 Euro Pflegesachleistung. Von diesem Betrag sollen dann etwa 300 Euro übrigbleiben – aber diese Logik hat nichts mit dem tatsächlichen Pflegebedarf zu tun. Entweder ist jemand pflegebedürftig, dann benötigt er entsprechende Leistungen, oder er ist es nicht.
Was wir stattdessen erleben, ist, dass manche die Leistungen so organisieren, dass der ambulante Pflegedienst möglichst wenig kostet, damit möglichst viel Pflegegeld übrigbleibt. Dieser Anreiz ist aus meiner Sicht grundlegend falsch. Pflege darf kein Mittel sein, um das Einkommen aufzubessern – es geht um Versorgung, nicht um finanzielle Optimierung.
Ich wünsche mir von der Politik, dass dieser Missstand erkannt wird – und dass die Pflegeversicherung künftig wieder stärker an der tatsächlichen Bedürftigkeit ausgerichtet wird. Wir brauchen ein System, das Pflegebedürftigen hilft – nicht eines, das Schlupflöcher bietet.
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