Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus, die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Daniel Fehervari, Chief Transformation Officer bei Alloheim Senioren-Residenzen SE, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview mit ihm unter anderem darüber gesprochen, welche Entwicklungen er am Markt beobachtet, welche Veränderungen er sich in der Pflegebranche wünscht und was seine größte Herausforderung als Führungskraft war.

Was war Ihre bisher größte Herausforderung als Führungskraft – und wie haben Sie sie gemeistert? 

Fehervari: Die größte Herausforderung für mich ist es, komplexe Prozesse aufzubrechen, um für klare und einfache Abläufe zu sorgen – dabei aber nie zu vergessen, was für unsere Mitarbeitenden und vor allem unsere Bewohner:innen wirklich wichtig ist. Mitarbeitende brauchen klare, verständliche Abläufe, um gut arbeiten zu können. Gleichzeitig haben die Bewohner:innen oberste Priorität und individuelle Bedürfnisse, die nicht in starre Systeme gepresst werden dürfen. Der Spagat lag darin, Prozesse zu vereinfachen und dennoch sicherzustellen, dass die bestmögliche Betreuung und Pflege gewährleistet bleibt.  

Machbar ist das nur durch gemeinsames Vorgehen im Team – komplizierte Regelwerke entrümpeln und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Ich schaue dabei immer wieder aus der Vogelperspektive auf das, was wir tun und hinterfrage unsere Prozesse. Das ist eine Daueraufgabe.  

Wie hat sich Ihre Sicht auf Führung in der Pflege seit Ihrem Einstieg verändert?

Fehervari: Als Chief Transformation Officer führe ich keine Pflegekräfte direkt. Aber ich muss bei allen Prozessveränderungen im Hinterkopf haben: Was macht das mit den Menschen vor Ort in den Einrichtungen? Hilft es den Führungskräften oder macht es Ihnen das Leben schwer?  
Denn wir müssen verstehen: Führung in Pflegeeinrichtungen funktioniert anders als im klassischen Büroumfeld Emotionale und menschliche Aspekte spielen eine viel größere Rolle. Pflege ist eben Beziehungsarbeit – Pflegekräfte bauen emotionale Bindungen zu den Bewohner:innen auf, sind empathisch und nehmen sich die Schicksale zu Herzen. Dazu kommt: Die emotionale Belastung ist hoch, der Zeitdruck enorm. Führungskräfte vor Ort müssen völlig unterschiedlich mit ihren Leuten umgehen – je nachdem, wie erfahren jemand ist oder wie es ihm gerade geht. Die eine braucht klare Ansagen, der andere mehr Freiraum. 

Welches Buch oder welchen Podcast würden Sie jungen Führungskräften in der Pflege empfehlen? 

Fehervari: “Essentialism – The disciplined pursuit of less” von Greg McKeown.  

In der Pflege denken viele junge Führungskräfte: Ich muss alles schaffen, allen gerecht werden, überall dabei sein. Das geht schief. McKeown beschreibt in seinem Buch den disziplinierten Ansatz, unwichtige Aufgaben abzulehnen und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was wichtig ist. Was brauchen unsere Bewohner:innen wirklich? Was ist für meine Mitarbeitenden am wichtigsten? Welche Prozesse bringen echten Mehrwert?  

Das Buch hilft dabei, Prioritäten zu setzen und auch mal “Nein” zu sagen. Für Führungskräfte in der Pflege besonders wertvoll, weil sie ständig zwischen Bewohner:innen, Mitarbeitenden und Organisationsanforderungen jonglieren müssen. 

Welche strukturellen Probleme in der Pflege sind Ihrer Meinung nach noch zu wenig im Fokus?

Fehervari: Die Baustellen in der Pflege sind gefühlt endlos – Personalmangel, Finanzierung, Arbeitsorganisation, die Liste ist lang. Wenn ich zwei Bereiche herauspicken müsste, die eine besonders große Hebelwirkung haben, dann sind das Digitalisierung und Bürokratie – wobei die eng zusammenhängen. Mindestens ein Viertel der verfügbaren Pflegezeit bleibt nach unserer Einschätzung in Formularen, Nachweisen und analogen Abläufen stecken – Zeit, die nicht direkt bei den Bewohner:innen ankommt.  
 
Ein zentraler Ansatzpunkt zur Entlastung der Pflegeeinrichtungen liegt in der überfälligen Digitalisierung. Sie muss deutlich Fahrt aufnehmen, damit digitale Werkzeuge das knapper werdende Fachpersonal spürbar unterstützen. 

Welche Veränderungen wünschen Sie sich in der Pflegebranche? 

Fehervari: Es müssen endlich die Dinge angegangen werden, die nicht im Fokus stehen. Deshalb richtet sich mein Wunsch ganz konkret an die Digitalisierung und die Entbürokratisierung. Bei der Digitalisierung haben wir ein Refinanzierungsproblem. Viele digitale Lösungen sind da, funktionieren auch, aber sie sind aufgrund hoher Investitionskosten oft nicht in der Breite einsetzbar. Da geht’s um Themen wie Ausstattungs- und Betriebskosten der digitalen Infrastruktur, KI-gestützte Lösungen zur Dienstplanerstellung, personalunterstützende digitale Tools wie Sensorik, sprachgesteuerte Dokumentation und vieles mehr.  

Wir brauchen außerdem deutlich schnellere Abläufe in der Sozialhilfe. Durch steigende Eigenanteile geraten immer mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe – was ebenfalls Bürokratie nach sich zieht. Gleichzeitig steigt das Insolvenzrisiko für Einrichtungen. Heute liegen zwischen Antrag und Bewilligung je nach Kommune drei bis neun Monate. In dieser Zeit warten Einrichtungen auf die Zahlungen der Sozialämter. Wird ein Antrag am Ende abgelehnt, entsteht ein hohes Ausfallsrisiko. Hier braucht es klare Vorgaben: Eine maximale Prüfdauer von wenigen Wochen nach Eingang der vollständigen Unterlagen und mehr Informations- und Mitwirkungsrechte für die Träger im Verfahren zur Kostenübernahme.

Wie erleben Sie den Einsatz digitaler Tools in Ihrer Einrichtung – eher als Hilfe oder als Belastung?

Fehervari: Eindeutig als Hilfe – aber nur, wenn sie richtig gemacht sind. Wir haben den Grundsatz: Wir rollen Digitalisierungslösungen nur aus, wenn sie wirklich helfen. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Viele Unternehmen digitalisieren um der Digitalisierung willen. Wir gehen anders vor: Wir suchen gezielt nach skalierbaren Lösungen, die echten Mehrwert bringen. Das bedeutet: Wir pilotieren erst in kleineren Bereichen, schauen genau, was funktioniert und was nicht, und hören auf die Rückmeldungen der Mitarbeitenden.  

Wenn ein digitales Tool mehr Aufwand schafft als es abnimmt, dann ist es falsch. Wenn es die Pflegekräfte von ihrer eigentlichen Arbeit abhält, dann brauchen wir es nicht. Aber wenn es ihnen Zeit spart, Prozesse vereinfacht oder die Qualität der Versorgung verbessert, ist der Einsatz sogar unbedingt notwendig.  

Welche technologischen Entwicklungen könnten Ihrer Meinung nach die Pflege wirklich entlasten?

Fehervari: In unserem Alltag steckt noch viel zu viel Papier. Wir erzeugen pro Jahr über 60 Millionen Ausdrucke. Das frisst Zeit und Ressourcen und ist auch in punkto Nachhaltigkeit nicht mehr geboten. Ein Beispiel ist der jährliche Vergütungsprozess mit den vielen Pflegekassen: Betreiber bräuchten dafür einen bundeseinheitlichen, papierlosen Abschluss mit digitaler Signatur statt des immer noch papierbasierten Umlaufverfahrens. 

Ähnlich verhält es sich mit dem E-Rezept. Die Idee ist gut, aber nicht für Pflegeeinrichtungen entwickelt. Viele unserer Bewohner:innen können es nicht selbst nutzen. Am Ende holen unsere Fachkräfte weiterhin erst das Rezept in Papierform und dann die Medikamente. Das zeigt, wie stark der digitale Nachholbedarf ist. 

KI ist weiterhin ein Buzzword – Welche KI-Lösung würden Sie heute nicht mehr hergeben? 
 
Wir prüfen KI auf vielen unterschiedlichen Gebieten Da meine Verantwortung auch in der HR-Abteilung liegt, möchte ich hier unseren HR KI-Chatbot nennen: 
Der beantwortet Tag für Tag hunderte Fragen von Bewerbenden und Mitarbeitenden – rund um die Uhr. Früher landeten diese ganzen Standardfragen bei unseren HR-Kolleg:innen: “Wie läuft das Bewerbungsverfahren ab?”, “Wann bekomme ich Bescheid?”, “An wen wende ich mich bei Problemen mit der Lohnabrechnung?” Jetzt kriegen die Leute sofort eine Antwort, auch um 22 Uhr abends oder am Wochenende. Das erleichtert unserem HR-Team das Arbeitsaufkommen ungemein. Die können sich auf die wirklich wichtigen, komplexen Fragen konzentrieren, während die KI die Routine übernimmt. Und gleichzeitig bekommen Bewerbende und Mitarbeitende einen besseren Service. Keine Wartezeiten, keine “Rufen Sie morgen nochmal an”. Das ist für mich ein perfektes Beispiel dafür, wie KI richtig eingesetzt wird: Sie nimmt Menschen Arbeit ab und verbessert gleichzeitig das Ergebnis für alle Beteiligten.  

Welche Entwicklungen im Markt beobachten Sie aktuell mit besonderem Interesse? 

Fehervari: Der demografische Wandel wird uns massiv treffen. Die anwachsende Generation Pflegebedürftiger trifft auf die Baby-Boomer, die in den Ruhestand gehen. Das bedeutet: Immer mehr Menschen brauchen Pflege, während gleichzeitig immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten. Das ist gesamtgesellschaftlich herausfordernd. Wir reden hier nicht nur über ein paar Jahre, sondern über eine Entwicklung, die Jahrzehnte anhält. Die Zahlen sind eindeutig: Der Pflegebedarf steigt massiv, während das Arbeitskräftepotenzial schrumpft.  

Diese demografische Schere geht immer weiter auf. Umso wichtiger ist es, die Betreiber zu unterstützen, damit sie die nötige Infrastruktur schaffen können. Das geht nicht ohne politische Weichenstellungen – bei der Finanzierung, bei den Rahmenbedingungen, bei der Fachkräftegewinnung.  

Was möchten Sie als Führungskraft in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten? 

Fehervari: Ich möchte den Transformations- und Wachstumskurs der Alloheim-Gruppe aktiv vorantreiben. Die Aufgaben sind groß: der demografische Wandel, der Mangel an Fachkräften und neue Erwartungen der Mitarbeitenden verändern die Pflege spürbar. Gleichzeitig wollen wir als Unternehmen wachsen und unsere Arbeit weiterentwickeln. Pflege wird sich weiter wandeln – und diesen Prozess möchte ich gestalten, auch wenn die Rahmenbedingungen anspruchsvoll bleiben. 

Über den Interviewpartner

Daniel Fehervari von Alloheim im Interview

Daniel Fehervari

Transformation heißt für mich: nicht abwarten, sondern gestalten. Wir schauen genau hin, wo wir besser werden können – für unsere Bewohner:innen, für unsere Teams und für eine Pflege, die auch in Zukunft trägt.“