Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus, die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Katharina Graf, COO Region Süd der Unternehmensgruppe PflegeButler, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview mit ihr unter anderem darüber gesprochen, welche strukturellen Probleme in der Pflege bestehen, wie sie zum Einsatz digitaler Tools steht und wie Künstliche Intelligenz die Pflege entlasten könnte.

Was war Ihre bisher größte Herausforderung als Führungskraft – und wie haben Sie sie
gemeistert?

Graf: Meine bisher größte Herausforderung als Führungskraft war es während des Lockdowns zu
Corona, ein neues Haus zu eröffnen.

Als Führungskraft im Pflege- und Gesundheitswesen ist man täglich mit der Kombination aus
Fachkräftemangel, wachsendem Pflegebedarf und gleichzeitig steigenden
Qualitätsanforderungen konfrontiert, wenn dann noch eine Pandemie hinzukommt, denkt man
oft über einen Berufswechsel nach.

Ich bin froh heute sagen zu können, dass wir nicht aufgegeben haben. Ich sage bewusst wir, denn
ohne ein tolles Team an der Seite, sind solche Herausforderungen nicht zu meistern. Mir ist es
wichtig bei meinem Team zu sein, auf Augenhöhe zu sein, nah am Geschehen, um so die Realität
vor lauter Zahlen nicht aus den Augen zu verlieren.

Wie hat sich Ihre Sicht auf Führung in der Pflege seit Ihrem Einstieg verändert? 

Graf: Früher war ich der Ansicht, dass Führung in der Pflege bedeutet, Strukturen zu schaffen,
Prozesse zu optimieren. Heute weiß ich, dass viel mehr dazugehört. Pflege ist ein hoch
emotionaler, körperlich wie psychisch belastender Beruf. Gute Führung bedeutet daher nicht
nur, den organisatorischen Rahmen zu setzten, sondern aktiv Bedingungen zu schaffen, die
Menschen entlasten, motivieren und ihnen Wettschätzung geben. Dazu gehören
transparente Kommunikation, echte Beteiligung und das Bewusstsein, dass Veränderungen
nur dann funktionieren, wenn sie gemeinsam gestaltet werden.

Die Führung in der Pflege von heute ist weniger ein „Steuern von Oben“, sondern vielmehr
ein Zusammenbringen von Perspektiven: Pflege, Verwaltung, Angehörige, Klienten,
Mitarbeiter und Politik.

Welches Buch oder welchen Podcast würden Sie jungen Führungskräften in der Pflege
empfehlen? 

Graf: Mein Favorit unter den Podcasts ist „Wegen guter Führung“.

Welche strukturellen Probleme in der Pflege sind Ihrer Meinung nach noch zu wenig im
Fokus?

Graf: Wir sprechen immer nur vom Fachkräftemangel. Wir schauen zu selten auf die systemischen
Ursachen dafür. Wir haben zu viele ineffiziente Dokumentationspflichten und dadurch
Mehrfacherfassungen. Die Anforderungen an unsere Pflegekräfte haben mittlerweile nichts mehr
mit der Pflege selbst zu tun. Wir dokumentieren und dokumentieren und die Zeit am Menschen
geht dabei verloren. Viele Pflegekräfte verlassen den Beruf nicht wegen der Klienten, sondern
wegen dem System, das sie von der eigentlichen Pflege abhält.

Welche Veränderungen wünschen Sie sich in der Pflegebranche? 

Graf: Ich wünsche mit in erster Linie eine Deckelung der Eigenanteile für unsere Klienten. Wir
benötigen auch mehr strukturelle Entlastung statt nur mehr Personal. Es muss mehr
Maßnahmen geben, die Pflegekräfte wirklich entlasten, z.B. durch bessere digitale Systeme,
klare Prozessstrukturen und die konsequente Delegation nicht pflegerischer Aufgaben. So
entsteht mehr Zeit für das, worum es eigentlich geht: professionelle Pflege.

Wie erleben Sie den Einsatz digitaler Tools in Ihrer Einrichtung – eher als Hilfe oder als
Belastung?

Graf: Ich erlebe digitale Tools als große Chance, aber ihre Wirkung hängt stark von der Qualität
der Umsetzung ab. Sie sind eine Entlastung, wenn sie anwenderfreundlich sind, zuverlässig
funktionieren, Arbeitsprozesse wirklich unterstützen und die Mitarbeiter dafür gut geschult
sind

Welche technologischen Entwicklungen könnten Ihrer Meinung nach die Pflege wirklich entlasten?

Graf: Eine technologische Entwicklung, die die Pflege wirklich entlastet muss alltägliche Routinen
vereinfachen und Zeit für die direkte Pflege ermöglichen. Eine automatische Datenübertragen
zwischen Arztpraxen, Kliniken, Kostenträgern und Pflegeeinrichtungen wäre bereits eine
große administrative Entlastung.

KI ist weiterhin ein Buzzword – Welche KI-Lösung würden Sie heute nicht mehr hergeben? 

Graf: Gerade in hektischen Situationen oder bei komplexen Fällen hilft es enorm, wenn KI
Vorschläge macht, die nur noch überprüft und freigegeben werden müssen. Gerade bei
Pflegemitarbeitern mit Sprachschwierigkeiten, ist die Übersetzungsfunktion eine echte
Bereicherung.

Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Branche am stärksten prägen?

Graf: Pflegeeinrichtungen werden lernen müssen, mit dauerhaft knappen Ressourcen
professionell umzugehen. Hier wird die Priorisierung der Versorgungsformen im Fokus
stehen. Die Rolle von Ambulanter und Teilstationärer Versorgung wird weiter steigen.

Welche Entwicklungen im Markt beobachten Sie aktuell mit besonderem Interesse?

Graf: Besonders interessant finde ich die Modelle, die klassische Grenzen auflösen, ambulant
unterstütze Wohngemeinschaften und Betreute Wohnanlagen.

Was möchten Sie als Führungskraft in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten?

Graf: Als Führungskraft sehe ich mehrere Entwicklungen, die ich aktiv gestalten muss, damit meine
Einrichtung zukunftsfähig bleibt und mein Team gute Arbeit leisten kann, hierzu gehört es: stabile,
wertschätzende Teamstrukturen aufzubauen, Mitarbeiter zu halten und weiterzuentwickeln und
transparente Kommunikation. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Pflege
gut möglich ist.

Über die Interviewpartnerin

Katharina Graf Top 40 unter 40 Interview

Katharina Graf

Unternehmensgruppe PflegeButler