Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus, die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Sabrina Oldenburger, COO Nord bei VidaCura, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview mit ihr unter anderem darüber gesprochen, welche Trends die Pflege ihrer Meinung nach am stärksten prägen werden, wie sie den Einsatz digitaler Tools in der Pflege erlebt und welche Veränderungen sie sich in der Pflegebranche wünscht.
Was war Ihre bisher größte Herausforderung als Führungskraft – und wie haben Sie sie
gemeistert?
Oldenburger: Die Corona-Pandemie war zweifellos meine bisher größte Herausforderung als Führungskraft. Innerhalb kürzester Zeit mussten wir unter extremen Druck Entscheidungen treffen – ohne Blaupause, ohne Sicherheit, mit ständig wechselnden Vorgaben, die auch noch in jedem Bundesland andere waren. In dieser Ausnahmesituation war für mich klar: Ich muss präsent sein – nicht nur organisatorisch, sondern vor allem menschlich. Durch ruhiges Auftreten und enge Begleitung der Mitarbeiter konnte ich Sicherheit vermitteln, auch wenn manchmal das Chaos herrschte.
Wie hat sich Ihre Sicht auf Führung in der Pflege seit Ihrem Einstieg verändert?
Oldenburger: Bevor ich selbst als Führungskraft tätig wurde, habe ich diese häufig als unnahbar und sehr theoretisch erlebt. Daher dachte ich früher, Führung bedeutet vor allem Organisation und Effizienz. Heute weiß ich: Echte Führung ist menschlich, nahbar und transparent. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Mitarbeitende sich ernst genommen fühlen und Lust haben sich einzubringen. Moderne Führung heißt für mich: zuhören, leiten und gemeinsam entwickeln.
Welche strukturellen Probleme in der Pflege sind Ihrer Meinung nach noch zu wenig im Fokus?
Oldenburger: Ein zentrales Problem, das noch immer zu wenig ernst genommen wird, ist der überbordende Bürokratieaufwand. Pflegekräfte verbringen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation und Formularen– oft nicht, weil es sinnvoll oder pflegerisch notwendig ist, sondern weil Systeme und Regularien es so verlangen. Diese Bürokratie steht in keinem Verhältnis zur Realität am Bett. Sie raubt nicht nur Zeit, sondern auch Energie – und sie verhindert, dass Pflegekräfte das tun können, was sie eigentlich wollen: sich dem Menschen zuzuwenden. Wenn Pflegekräfte sich entscheiden mehr Zeit am Bewohner zu verbringen, dafür aber die Dokumentation hintenanstellen, rächt sich dies häufig durch schlechte Prüfungsergebnisse. Wir brauchen dringend eine Entbürokratisierung mit Augenmaß. Es geht nicht darum, auf Qualität oder Nachvollziehbarkeit zu verzichten, sondern um einen klugen und praxistauglichen Umgang mit Dokumentationspflichten.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich in der Pflegebranche?
Oldenburger: Ich wünsche mir, dass wir in der Pflege wieder mehr Stolz auf das empfinden, was wir täglich leisten – individuell und als Branche. Wertschätzung darf dabei nicht nur von außen kommen. Ich wünsche mir mehr gegenseitige Anerkennung innerhalb der Branche – zwischen Hierarchien, Berufsgruppen und Generationen. So entsteht eine neue Form von Stärke und Zusammenhalt.
Wie erleben Sie den Einsatz digitaler Tools in Ihrer Einrichtung – eher als Hilfe oder als
Belastung?
Oldenburger: Der Einsatz von digitalen Lösungen kann große Entlastung bringen. Wichtig ist hierbei, dass die Einführung neuer digitaler Lösungen gut durchdacht und begleitet werden. Die Mitarbeiter vor Ort haben unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien. Dies muss berücksichtigt werden. Technik muss immer praxistauglich und anwenderfreundlich sein- sonst fehlt die Akzeptanz.
Welche technologischen Entwicklungen könnten Ihrer Meinung nach die Pflege wirklich
entlasten?
Oldenburger: Das größte Potential sehe ich bei sprachgesteuerten Dokumentationssystemen. Wenn diese auch in der Lage sind, Sprachdefizite, z.B. bei der Grammatik, auszugleichen, gibt es auch für unsere Kollegen mit Migrationshintergrund eine große Bedeutung.
KI ist weiterhin ein Buzzword – Welche KI-Lösung würden Sie heute nicht mehr hergeben?
Oldenburger: Ich sehe großes Potenzial in KI-gestützten Frühwarnsystemen, die Auffälligkeiten im Gesundheitszustand frühzeitig erkennen. Es muss aber jedem klar sein, dass KI in der Pflege den Menschen nicht ersetzen kann.
Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Branche am stärksten prägen?
Oldenburger: Der demografische Wandel wird uns alle herausfordern – aber auch neue Berufsbilder, Arbeitsmodelle und technische Lösungen erfordern. Alte Denkweisen werden verändert werden müssen und auch gesetzliche Regelungen werden neu überdacht und angepasst werden müssen. Hier wird es spannend, ob auch die Politik bereit sein wird, innovative Lösungsmodelle zuzulassen oder bürokratische und regulatorische Hürden im Weg stehen werden.
Welche Entwicklungen im Markt beobachten Sie aktuell mit besonderem Interesse?
Oldenburger: Ich beobachte mit Interesse die zunehmenden Kooperationen zwischen Pflegeeinrichtungen und Start-ups. Hier entstehen spannende Pilotprojekte – von smarter Pflege-Doku bis zu KI-Assistenzsystemen.
Was möchten Sie als Führungskraft in den nächsten Jahren aktiv mitgestalten?
Oldenburger: Ich möchte dazu beitragen, dass sich ein modernes Führungsverständnis in der Pflegebranche wirklich etabliert – jenseits von alten Hierarchien und starren Rollenbildern. Für mich bedeutet Führung vor allem: menschlich, nahbar und erreichbar zu sein. Moderne Führung braucht Haltung, Mut und Verbindlichkeit – und ich sehe es als meine Aufgabe, genau das vorzuleben und weiterzugeben.

