Ende August veröffentlichte unsere Redaktion die Liste der Top 40 unter 40 im Management der Pflege, welche Sie hier einsehen können. Im Zuge dessen hatten wir die Gelegenheit mit einigen der Nominierten Interviews über den aktuellen Stand des Pflegemarktes, ihre Herausforderungen und Pläne für die Zukunft sprechen zu können. So auch mit Tobias Dämlow von der Alloheim, einem der größten Betreiber für die vollstationäre Pflege in Deutschland. Wir durften mit ihm über aktuelle Herausforderungen und die Digitalisierung in der Pflege sprechen.


Wie bewerten Sie bisher das Jahr 2022 für Ihr Unternehmen?

Dämlow: In einem Wort? Herausfordernd!

Warum?

Dämlow: Da wir in der Pflegebranche viele Herausforderungen haben: Die Einführung der Impfpflicht, das Thema Tariftreue, der Pflegebonus, viele Themen im Fachkraftgewinnungsprozess, etc. Wir bei Alloheim betreiben nunmehr über 240 stationäre und 25 ambulante Standorte und wir sehen zunehmend, dass Mitarbeitende in der Pflege sich sehr genau überlegen, ob sie auch weiterhin in der Pflege tätig sein wollen. Hier sind Arbeitsbelastung und Verdichtung ein treibender Punkt. Da sind wir als Arbeitgeber gefragt, um unseren Mitarbeitenden die Arbeitsumgebung und die Arbeit selbst angenehmer zu gestalten sowie ihnen die entsprechende Flexibilität im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bieten. Zugleich wollen und müssen wir selbstverständlich auch die Pflegequalität für die Bewohner:innen auf hohem Niveau halten.

Gibt es bereits absehbare Meilensteine, die Sie für den Rest des Jahres vor Augen haben?

Dämlow: Ich bin bei Alloheim u.a. für die Themen Digitalisierung/IT und Marketing verantwortlich – und da haben wir noch viele Themen auf der Uhr. Wir verfügen über teilautomatisierte Prozesse im Bereich der Werbemittelproduktion, unterstützende Prozesse im Bereich Recruiting – und wir haben ganz aktuell als Personalentwicklungs-Komponente begonnen, de facto all unsere Mitarbeitenden das Angebot eines Dienstfahrrads zu machen. Auch das ist vollintegriert in unsere Prozesse.

Zudem wollen wir monetäre und weitere Benefits ausbauen, um uns als Arbeitgeber für unsere Mitarbeitenden weiterhin attraktiv zu positionieren.

Unterstützend sind wir gerade dabei unsere positiven Themen noch stärker in der Öffentlichkeit herauszustellen und zu präsentieren. Uns ist dabei wichtig zu zeigen, wie engagiert unsere Mitarbeitenden in den Einrichtungen und ambulanten Diensten sind und was für einen großartigen Job sie tagtäglich machen.

Das ist eines der Themen, dass wir dieses Jahr vor uns haben, neben etwa dem Neubau weiterer Standorte. Denn mit Blick auf die demographische Entwicklung ist klar, dass wir mehr Kapazitäten und mehr Mitarbeitende benötigen, um unsere Lieben auch in Zukunft pflegen zu können.

Herr Dämlow, Zugang zur digitalen Infrastruktur wird immer relevanter – viele Dienstleister und Start-ups in der Pflege setzen auf digitalisierte Angebote. Wir sehen von digitalen Gadgets (z.B. intelligentes Bett, Trinkbecher, …), über Kommunikation (Apps wie WhatsApp-Alternativen) und Künstliche Intelligenz zur Verbesserung der Pflegequalität (Sturzprophylaxe, Spielekonsolen) zahlreiche Ideen und Startups. Wie schaffen es diese Produkte in die Praxis? Welche Herausforderungen gibt es bei der Einführung in der Alloheim-Gruppe? Was wird bereits eingesetzt und was nicht?

Dämlow: Zum ThemaDigitalisierung haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir uns in der Pflege vor allem eines fragen müssen: Wollen wir einfach nur irgendwelche Gadgets und IT-Lösungen haben? Auch wenn es viele innovative Ideen gibt, ist doch die Frage entscheidend: Wie setzen wir den Prozess nach vorne um?

Als Unternehmen haben wir vor knapp fünf Jahren eine Digitalisierungsstrategie aufgebaut, die wir stetig weiterentwickeln und auch als Grundlage für Entscheidungen zu einer möglichen Integration digitaler Lösungen externer Anbieter nehmen. Der erste Schritt ist dabei immer der Prozess. Wir haben uns hier also eingangs der Frage gestellt, wie aktuell die stationäre und ambulante Pflege funktioniert. Sie funktioniert nach den entsprechenden Vorgaben für Qualitätssicherung und Dokumentation. Das bedeutet für uns nicht nur, dass wir die Pflegedokumentation digitalisieren – die wir zudem schon seit über einem Jahr auch als mobile Lösung anbieten, mit zusätzlichen Funktionen wie etwa einer digitalen Wiegeanwendung, die automatisiert in die Pflegedokumentation Daten überträgt. 


Sondern wir sind vielmehr der Meinung, dass Qualität nur dann sichergestellt werden kann, wenn wir den Organisationsprozess optimieren – um nicht nur die Dokumentation, sondern auch den Durchführungsprozess zu optimieren.

Sie haben eben das Beispiel des digitalen Bettes genannt. Hier stehen wir regelmäßig vor der gleichen Herausforderung: Uns werden Insellösungen präsentiert. Dann haben wir etwa ein Bett mit verschiedenen Sensoren, die unterschiedliche Informationen in ein eigenes zu Bett und Anbieter gehörendes Portal einspeisen. Aber wenn wir wissen wollen, wie die Daten zu uns kommen, bekommen wir individuelle Lösungen präsentiert, die jedoch in einer Gruppe mit der Größe der Alloheim keine Anwendung finden können.

Denn unser Unternehmen – und da sind wir praktisch einzigartig – läuft IT-seitig komplett zentralisiert. Heißt: Wir betreiben eine zentrale IT und steuern hieraus sämtliche IT-Prozesse aller Standorte der Alloheim-Gruppe. Wenn wir also ein neues Haus erwerben oder bauen, unterliegt dies immer unserer zentralen IT-Struktur. Ein digitales Bett müsste sich also in unsere IT-Struktur eingliedern lassen. Sonst wäre unser Prozess nicht mehr gewährleistet.

Denn wir wollen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, für jedes Haus sicherstellen können, dass wir den richtigen Bewohner im richtigen Bett zur richtigen Zeit wiegen. Daher haben wir zuerst unsere Prozesse digitalisiert und optimiert und schauen uns nun nach Lösungen um, die dazu passen können.

Ein weiteres Beispiel: Unser digitaler Trinkbecher – wir haben drei Jahre gemeinsam mit einem Start-Up an diesem Trinkbecher gearbeitet. Wir haben diese Zeit benötigt, weil der Prozess stimmen muss. Ein digitaler Trinkbecher, der mir sagt, wie viel ein Bewohner getrunken hat – das können bestimmt auch andere Produkte am Markt schon recht gut. Aber ein Trinkbecher, bei dem die Pflegefach- oder -hilfskraft mittels eines einfachen Anwendungsprozess sicherstellen kann, dass der Becher dem richtigen Bewohner zugewiesen wird und somit ein korrektes Ergebnis mitteilt – das ist wichtig. Auch soll diese Art der Nutzung von Digitalisierung die Mitarbeitenden unterstützen, „just in time“ reagieren zu können. Worauf ich hinaus will: Wir benötigen Produkte, die Serienreife haben. Wir wollen einen Industriestandard in unserer Branche erreichen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Start-Ups nicht in diesem Mindset denken. Da werden Produkte entwickelt, die in der Grundidee gut sind, aber in einer Strukturierung von Unternehmen unserer Größenordnung schlicht nicht funktionieren. Wir haben uns unglaublich viel Sensorik angeschaut, schiere Unmengen an IOT. Und ich bin ganz ehrlich: Es gibt einige wirklich gute Anbieter, die gute Lösungen haben und bei denen wir über eine Pilotierung und Integration nachdenken.

Zeitgleich müssen wir natürlich mit Vorgaben aus der Politik arbeiten, wie der Telematikinfrastruktur. Wir haben Tablets mit eigener Alloheim OS programmieren lassen, damit jeder Mitarbeiter immer mit derselben Oberfläche arbeitet und stets die wichtigen Anwendungen parat hat.

Aber es gilt: Erst der Prozess, dann die Lösung. Und das ist oftmals ein Problem mit aktuellen Anbietern am Markt, die sich den Prozess leider viel zu selten anschauen.  In der Pflege geht es zumeist nur um die Dokumentation der durchgeführten Leistungen: Wir überdenken den Prozess, um diesen zu optimieren und dann das Ergebnis (Teil-) automatisiert dokumentieren zu lassen. Dies ist eine echte Transformation in unserer Branche!

Laut Ihrem Vortrag bei der Altenheim-Expo bietet Alloheim bereits in 75 Prozent Ihrer Heime eine WLAN-Ausstattung, das ist weit über dem allgemeinen Marktschnitt. Was waren die größten Herausforderungen, um zu diesem Ergebnis zu kommen?

Dämlow: Als ich vor fünf Jahren zum Unternehmen kam – ich komme ursprünglich nicht aus der Pflege, sondern aus der Industrie / Technologie und dem Handel und habe dort Industrie 4.0 Projekte geleitet – waren wir in der Situation, dass wir in der Pflege kein WLAN hatten. Der erste große Schritt war also zu analysieren, mit welchen Investitionen wir zu kalkulieren haben, um WLAN in Bestandshäuser zu bringen. Sowohl für die Anwendungen, die wir für die Mitarbeitenden benötigen, als auch für die Bewohner: innen.

Die größte Herausforderung war eine Lösung zu finden, die wir zentral nutzen und steuern können. Wir haben uns am Ende für ein skalierbares Produkt entschieden, auf das wir viele verschiedene Dienstleister aufsatteln können. Mit einigem Aufwand konnten wir dann auch eine eigene Alloheim-Anwendung auf dieser Basis entwickeln, die wir auch zentral einsetzen und monitoren können: Die zentrale Vergabe von Vouchern etc. ist hierbei wesentlicher Bestandteil.

So war die Aufbereitung dieser serienreifen Anwendung zwar viel Aufwand, aber der Vorteil ist, dass die WLAN-Ausleuchtung – nun wo alles steht – auch recht schnell in den Standorten umgesetzt werden kann. Die größte Herausforderung hierbei ist und bleibt der Anschluss durch die Versorger sowie die Verkabelung in den Gebäuden. Wir haben die Möglichkeit mit vielen IT-Dienstleister in Deutschland WLAN anzubieten; dies jedoch in vier Stufen.

Die erste Stufe: Wir priorisieren die Standorte, an denen wir WLAN haben wollen und sorgen für eine entsprechende Abdeckung, am besten mit Glasfaser, welche dann genug Bandbreite liefert, um WLAN sinnvoll zu gestalten.  Hierzu haben wir einen Vertrag mit einem großen Anbieter abgeschlossen, der uns ermöglicht in den nächsten Jahren überall in Deutschland Glasfaseranbindungen legen zu lassen.

Zweite Stufe: Wir haben nun eine entsprechende Bandbreite und eine Differenzierung in zwei Arten von WLAN: Einmal das Produktiv-WLAN für Sensorik, IOT, intelligente Betten und dergleichen, zum anderen das Bewohner-WLAN für die private Nutzung der Bewohner:innen und Besucher:innen.

Dritte Stufe: Jeder Standort bekommt von uns ein Starter-Package. Diesen Plan können wir auch bis Ende dieses Jahrs abschließen. Das heißt, dass wir damit  bis Ende des Jahres in jedem unserer Standorte WLAN haben werden. Mit diesem Starter-Package ermöglichen wir, dass im öffentlichen Bereich des Standortes, oft in der Cafeteria, WLAN verfügbar ist, welches unter anderem unser digitales Kassensystem nutzen kann. In den Standorten gibt es entsprechend Tablets, die WLAN nutzen. Dann können wir in Rücksprache mit den Standorten mit Hilfe von weiteren Hotspots die Ausleuchtung des WLANs in den entsprechenden Häusern erweitern.

Die vierte Stufe ist dann die Vollausleuchtung, bei der wir uns zum Ziel gesetzt haben, in jedem Bewohnerzimmer einen Internetanschluss über WLAN zu haben.

Und diese Struktur hat uns in die Lage versetzt, solch ein gutes Ergebnis liefern zu können und – mittelfristig – auch eine Vollausleuchtung aller Standorte zu erreichen.

Haben die aktuellen politischen Entscheidungen aus Berlin im Bereich der Pflege bereits spürbaren Einfluss auf Ihr Unternehmen?

Dämlow: Wir haben durch die Entscheidungen der Politik in diesem und auch in den vergangenen Jahren durchaus einige Herausforderungen erhalten. Zumeist stand dabei die Umsetzung der Entscheidungen in die pflegerische Praxis, in den Alltag in unseren Einrichtungen im Mittelpunkt. Hier könnten wir als einer der größten Pflegeheimbetreiber sicher auch im Vorfeld wertvolle Hinweise und Impulse aus der Praxis geben. Gleiches gilt auch für Vorschläge und Ideen rund um Themen, bei denen die Politik echten Fortschritt in der Pflege erzeugen könnte.

Ganz zentral ist dabei eines: Wir brauchen mehr Mitarbeiter:innen in der Pflege! Dieses Berufsbild muss von uns als Arbeitgebern gemeinsam mit der Politik motivierend ins rechte Licht gerückt werden. Ein Arbeitsplatz in der Pflege ist ein gesellschaftlich wichtiger, wertschöpfendender und sicherer zugleich!

Bei all den Herausforderungen in unserer Branche würden wir uns freuen, von der Politik stärker gehört und einbezogen zu werden – wir sind dahingehend sehr offen. Durch unsere Digitalisierungsstrategie  verfügen wir beispielsweise über klare und korrekte Kennzahlen, die auch politische Entscheidungen und Prioritäten unterstützen könnten.

Gibt es etwas, dass Sie den anderen Top 40 unter 40 mit auf den Weg geben möchten?

Dämlow: Ich habe mir die Liste der aktuellen Top 40 unter 40 angesehen und bin begeistert über die Vielzahl an jungen Menschen in Führungspositionen in unserer Branche – gerade auch in kleineren und mittleren Unternehmensgruppen. Man spürt förmlich den Aufbruch der Pflegebranche!

Ich habe jedoch die Sorge, dass sich junge Menschen vermeintlich ‚leichtere‘ Branchen suchen, weil sie lieber in die IT oder den Onlinehandel gehen. Ich kann nur dafür werben mit Herzblut gemeinsam Ideen zu entwickeln, um die Pflege auch zusammen mit der Politik wieder attraktiver zu machen. Für mich ist wichtig, dass wir in der Pflege mit- und füreinander arbeiten und keine Ellenbogenmentalität zeigen.

Daher möchte ich uns allen Mut machen: Bleiben wir der Pflege treu! Es liegt nun an uns, die Pflege zukunftssicher und auch „sexy“ zu machen. Wir sollten nicht den Stillstand verwalten, sondern die Zukunft gestalten. Denn in der Pflege können wir wirklich etwas bewegen.

Über den Interviewpartner

Top 40 unter 40 - Tobias Dämlow

Tobias Dämlow, CDO und Mitglied der Geschäftsleitung der Alloheim Senioren-Residenzen SE gehört zu den Top 40 unter 40 im Management der Pflege 2022. Bei Alloheim ist er seit fünf Jahren und verantwortet unter anderem den Ausbau der WLAN-Ausleuchtung in allen Pflegeheimen der Gruppe.