Über die Autoren

 

Norbert Sehner

Als Gründer und Geschäftsführer der Sehner Unternehmensgruppe blicke ich auf 25 Jahre Erfahrung in der Pflege- und Gesundheitsbranche zurück. In dieser Zeit habe ich ein umfangreiches Netzwerk von Fachleuten und Experten aus dem Markt aufgebaut.

 

Peter Voshage

Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Pflege- und Gesundheitsmarkt und bin Mitgründer der pm pflegemarkt.com GmbH. Als BWLer mit Herz (Sozialökonom) konzentriere ich mich auf betriebswirtschaftliche Themen in der Pflegebranche.

Wann geht der Pflegeversicherung das Geld aus?

Bezugnehmend auf das Interview mit Gesundheitsminister Prof. Lauterbauch vom 28.05.2024 ist eine für den Pflegemarkt sehr entscheidende Diskussion entstanden, in der die zugrunde liegenden Zahlen, Daten und Fakten einem „fact-checking“ unterzogen werden müssen.

Der für die Finanzierung der Pflegekassen sehr wichtige Ausgleichsfonds läuft voraussichtlich zum Ende des Jahres leer. Daher hatte die Politik eine Pflegereform geplant. Diese wurde aktuell von Herrn Prof. Lauterbach abgesagt. [1]

Hier die wichtigsten Fragen, auf die die Pflege in Deutschland jetzt dringend Antworten benötigt:

  • Wie sollen die fehlenden Mittel rechtzeitig aufgebracht werden?
  • Wie soll die Zahlungsunfähigkeit der Pflegekasse abgewendet werden?
  • Kann es wie bei der Tariflohnerhöhung wieder zu starken Zahlungsverzögerungen kommen, so dass weitere Insolvenzen drohen?
  • Wie sollen die Kassen gerettet werden?
  • Wie soll der weitere Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen und der Anstieg der Pflegesachleistungen ab Januar 2025 finanziert werden?
  • Die Wachstumszahlen der Anzahl der Pflegebedürftigen sind verfügbar, wieso kann dies die Politik überraschen?

 

 

1. Weiterer Anstieg der Anzahl an Pflegebedürftigen

In den letzten 5 Jahren ist die Anzahl der Pflegebedürftigen der SPV durchschnittlich um ca 300.000 pro Jahr angestiegen. Jetzt wurde die Gesundheitspolitik von einem Anstieg in Höhe von ca. 360.000 Pflegebedürftigen in 2023 „überrascht“, da das Gesundheitsministerium nur mit einem Anstieg von ca. 50.000 Pflegebedürftigen gerechnet hatte. Nach Check der Fakten stellt sich dies eher wie ein Versuch der Verharmlosung dar. [2]

Ein weiterer jährlicher Anstieg in mindestens gleicher Größenordnung ist in den nächsten Jahren bis 2030 zu erwarten. Eher könnte er noch höher ausfallen, da im Vergleichszeitraum 2019-2023 im Durch-schnitt eine erhöhte Mortalität durch die Corona Pandemie zu verzeichnen war und in den nächsten Jahren die Babyboomer voraussichtlich für einen weiteren Anstieg sorgen werden. Das statistische Bundesamt kalkuliert mit einem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen von aktuell rund 5,0 Mio. auf bis zu 6,1 Mio. Pflegebedürftige im Jahr 2030. [3]

Es ist nun höchste Zeit, sich den Entwicklungen zu stellen und Lösungen umzusetzen (Siehe dazu auch obiger Artikel). Pflegemarkt.com hat wiederholt auf die Gefahr der Unterschätzung dieser Entwicklung hingewiesen. Aktuell sieht Steffen Hehner, Vorstandsvorsitzender von Alloheim das so:

„Wir können schon heute vielerorts die Nachfrage nicht bedienen. Gleichzeitig erleben wir einen Rück-bau der pflegerischen Infrastruktur – ob durch Insolvenzen oder einen stillen Kapazitätsabbau wegen fehlendem Personal. Darunter leiden vor allem Pflegebedürftige und deren Angehörige. Sie finden nicht mehr die Versorgung, die sie brauchen.“

Tatsächlich sehen wir eine Stagnation des Ausbaus voll-stationärer Versorgungskapazität. Einer aktuellen Auswertung zufolge beträgt das durchschnittliche Wachstum der Plätze in Pflegeheimen im Zeitraum von 2018 bis 2024 lediglich 0,3 Prozent – den realen Wegfall von Plätzen aufgrund Teilschließungen und Belegungsstopps als Folge von Personalmangel noch nicht berücksichtigt. [4]

2. Ausstattung der Pflegekassen

Die Pflegekassen sind für den Anstieg der Pflegebedürftigkeit in keiner Weise ausgestattet und „die soziale Pflegeversicherung ist ein dringender Sanierungsfall“. So die BKK Vorständin Anne-Kathrin Klemm in einem Interview mit Care vor 9. [5]

Bis Ende 2025 soll das Defizit auf ca. 4,4 Milliarden EURO anwachsen. Pflegemarkt.com liegt ein Modell vor, das dieses Defizit weiter extrapoliert.

Unter der Annahme, dass die Ausgaben bis 2030 um ca. 7 % und die Einnahmen lediglich um ca 3% steigen, würde sich die jährliche Finanzierungslücke bis auf ca. 17 Milliarden EURO in 2030 erhöhen, so dass aus heutiger Sicht insgesamt ca. 60 Milliarden EURO bis zum Jahr 2030 fehlen werden.

 

3. Bedarf an langfristigen Reformen

Es ist allen klar, dass eine umfassende Reform der Pflegeversicherung unumgänglich ist. Da gibt es keinen Dissens. Klar ist aber auch, dass eine solche Reform die skizzierte Finanzlage nicht kurzfristig beheben kann. Wie man den aktuellen Zahlen des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung beim Bundesamt für Soziale Sicherung entnehmen kann, schmelzen die liquiden Mittel derzeit sehr rasch ab. Dies wird für die Pflegekassen dann schnell zum echten Problem, die aufgrund ihrer Risikostruktur und unter-durchschnittlichen Finanzkraft regelmäßig Empfänger von Zahlungen aus dem Fonds sind.

Olaf Scholz möchte nun die Pflegereform kurzfristig vorantreiben. Es dürfte allerdings nicht schnell zu einer umfassenden Reform kommen, daher muss es für die Kassen kurzfristige Stützungsmaßnahmen geben.

4. Bedarf an kurzfristigen Stützungsmaßnahmen

Finden die regelmäßigen Zahlungen aus dem Ausgleichsfonds nicht statt oder geraten ins Stocken, können Zahlungen der Pflegekassen an die Leistungserbringer ggf. nur verzögert geleistet werden.

Die bei vielen Betreibern bereits jetzt sehr enge Liquidität würde sich eventuell schnell weiter verschlechtern. Es braucht also eine Liquiditätsstütze durch Bundesmittel und eine sehr zeitnahe Erhöhung des Beitrages zur SPV. Hier gilt in etwa, dass ein Beitragszehntel circa 1,8 Mrd. zusätzliche Beitragseinnahmen dem System zuführt. Es werden also sicher mehrere dieser Zehntel gebraucht werden. [6]

Hierzu noch einmal Steffen Hehner: „Wenn es jetzt aufgrund einer massiven finanziellen Schieflage der Pflegekassen zu verzögerten Zahlungen kommt, werden wir noch mehr Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen sehen – egal ob freigemeinnützig oder privat. Wenn die Politik hier nicht schnell und entschieden gegensteuert, werden dringend benötigte Pflegekapazitäten zerstört.“

Quellenverzeichnis

[1] https://www.rnd.de/politik/gesundheitsminister-karl-lauterbach-im-interview-ueber-finanzierung-der-pflege-und-steigende-Y4YWEVSRI5GMXDCQECWR3IFFXQ.html
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Statistiken/Pflegeversicherung/Zahlen_und_Fakten/Zahlen_und_Fakten_Dezember_2023.pdf
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_124_12.html
[4] https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/anzahl-und-statistik-der-altenheime-in-deutschland/#
[5] https://www.carevor9.de/care-inside/ende-des-jahres-geht-der-pflegeversicherung-das-geld-aus
[6] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/online-ratgeber-pflege/die-pflegeversicherung/finanzierung