Das Jahr 2022 war ohne Zweifel ein sehr herausforderndes Jahr für die Pflege – steigende Sachkosten durch die zunehmende Inflation, die immer noch anhaltenden Folgen der Corona-Pandemie sowie stark steigende Personalkosten durch die neue Tarifpreisbindung haben die gesamte Pflegebranche vor große Herausforderungen gestellt. Bereits zu Beginn des Jahres 2023 wurde deutlich, dass selbst einige große Unternehmen diese Probleme nicht mehr bewältigen konnten, wie die jüngsten Insolvenzen belegen. In der vorliegenden Analyse werfen wir einen Blick zurück auf die Gesamtentwicklung des Pflegemarktes im vergangenen Jahr 2022 in den Bereichen vollstationäre Pflegeheime, ambulante Pflegedienste und Tagespflege sowie auf die Entwicklung im Jahresverlauf. Eine aktuelle Bilanz zum Pflegemarkt finden Sie in unserer Pflegestatistik 2023.


Inhaltsverzeichnis:

 

 

Erklärung der Methodik zur Entwicklungs-Statistik

Für die vorliegende Analyse wurde die Pflegedatenbank im Hinblick auf neu eröffnete und geschlossene Einrichtungen im Bereich der vollstationären Pflegeheime, der ambulanten Pflegedienste und der teilstationären Tagespflege sowie ggf. im Bau befindlicher Einrichtungen in diesen Segmenten ausgewertet. Die Pflegedatenbank wird monatlich auf Basis der aktuellen Daten der Krankenkassen aktualisiert, darüber hinaus wird durch tägliche Meldungen und mehr als 1.000 Recherchestunden pro Monat die Datenqualität auf höchstem Niveau gehalten, so dass auch eine Auswertung auf Monatsbasis möglich ist. Zur besseren Darstellung wurde in den Grafiken dieser Analyse eine Darstellung in Halbjahren gewählt.

Entwicklung der Pflegeheime im Jahr 2022 – Anzahl an Altenheimen sinkt um 30 Standorte

Statistik Entwicklung der Pflege im Jahr 2022 - Vollstationäre Pflege – Halbjährliche Betrachtung

Insgesamt wurden im Jahr 2022 nach Auswertung aller Gründungsradare von Januar bis Dezember 107 neue vollstationäre Pflegeheime eröffnet. Gleichzeitig wurden 137 Pflegeheimstandorte geschlossen – dies entspricht einem Nettorückgang von 30 Pflegeheimstandorten im Gesamtjahr 2022. Gleichzeitig ist auch ein Rückgang der Bautätigkeit im vollstationären Bereich zu beobachten – während im ersten Halbjahr 2022 noch an 44 Standorten mit dem Bau eines neuen Pflegeheims begonnen wurde, waren es im zweiten Halbjahr nur noch 41 Standorte.

In der Quartalsbetrachtung zeigt sich das 2. Quartal 2022 als das Quartal mit den meisten Pflegeheimeröffnungen (35) und den meisten Schließungen (46). Gleichzeitig ist ein deutlicher Rückgang der Eröffnungen im dritten (27) und vierten Quartal (25) zu beobachten. Insbesondere die Zahl der Neubauten ist vom dritten Quartal (27) auf das vierte Quartal (14) deutlich zurückgegangen.

Trotz des deutlichen Rückgangs an Pflegeheimstandorten verzeichnet die Zahl der verfügbaren vollstationären Pflegeheimbetten einen Anstieg – insgesamt erhöhte sich die Zahl der Pflegeheimplätze um 2.371 Betten (netto). Dieser deutliche Anstieg trotz des Abbaus von Standorten ist auf die Größe der Heime zurückzuführen. Während die geschlossenen Heime eine durchschnittliche Größe von 45 Betten aufwiesen, lag die Platzzahl der neu eröffneten Heime mit rund 80 Plätzen sogar über der durchschnittlichen Platzzahl eines Pflegeheims in Deutschland (78 Plätze). Im Durchschnitt waren die geschlossenen Heime – unter Berücksichtigung bereits erfolgter Modernisierungen – rund 25 Jahre alt. Mit durchschnittlichen Kostensätzen von 1.869,68 Euro lagen sie jedoch deutlich unter den durchschnittlichen Kostensätzen in Deutschland insgesamt, die im Juni 2022 bereits im Mittel 2.289,58 Euro betrugen.

Betrachtet man die Entwicklung der Pflegeheime im Bundesvergleich, so zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Zwar wurden in Baden-Württemberg (20 Neueröffnungen), Nordrhein-Westfalen (17) und Niedersachsen (16) die meisten Pflegeheime neu eröffnet, doch während die Zahl der geschlossenen Heime in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen deutlich unter der Zahl der Neueröffnungen lag und sie damit zu den Bundesländern mit dem größten Zuwachs an Pflegeheimen machten, wurden in Baden-Württemberg insgesamt 39 Heime geschlossen, so dass das Bundesland insgesamt 19 Pflegeheime weniger hat als im Vorjahr. Einen noch höheren Anteil an Heimschließungen musste nur Bayern hinnehmen, wo 32 Schließungen nur 9 Neueröffnungen gegenüberstehen.

Entwicklung der Pflegedienste im Jahr 2022 – Anzahl der ambulanten Pflegedienste erhöht sich um 44 Standorte

Statistik Entwicklung der Pflege im Jahr 2022 - Pflegedienste – Halbjährliche Betrachtung

Während im Bereich der vollstationären Pflege insgesamt ein Rückgang der Standorte zu verzeichnen ist, zeigt sich der sehr agile Markt der ambulanten Pflege mit einem Zuwachs von 44 Standorten. Insgesamt wurden im Jahr 2022 470 neue Pflegedienste eröffnet und 426 Standorte geschlossen.

Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Halbjahr 2022 – während im ersten Halbjahr die Neueröffnungen noch deutlich über den Schließungen lagen, kehrte sich diese Dynamik im zweiten Halbjahr um und es wurden mehr Dienste geschlossen als eröffnet. Die positive Bilanz der ambulanten Pflege ist also auf ein starkes erstes Halbjahr zurückzuführen. Noch deutlicher wird dies bei einer Betrachtung auf Quartalsebene. Wurden im ersten Quartal noch 122 Pflegedienste neu gegründet und 94 geschlossen, so sticht vor allem das zweite Quartal mit 142 Neueröffnungen und nur 93 Schließungen hervor. Ab dem dritten Quartal zeigt sich eine deutliche Trendwende – auf 100 Neugründungen folgen 112 Schließungen, während im vierten Quartal die Zahl der Neugründungen mit 107 zwar leicht ansteigt, aber noch deutlicher hinter den weiter zunehmenden Schließungen (127) zurückbleibt.

Auf Basis der Versorgungen zeigt sich bei den Pflegediensten ein ähnlicher Effekt wie bereits bei den Pflegeheimen – mit einer durchschnittlichen Patientenzahl von 54 versorgten Kunden lagen die geschlossenen Dienste weit hinter dem Bundesmittel in Höhe von 103 Patienten zurück.

Die Statistik der neu eröffneten und geschlossenen Pflegedienste im Bundesvergleich zeigt ein ähnliches Bild wie bereits im Bereich der vollstationären Pflege. Deutlicher Spitzenreiter im Bereich der neu eröffneten Pflegedienste ist Nordrhein-Westfalen, wo 127 neu gegründeten Standorten nur 73 geschlossene Standorte gegenüberstehen – was zu einem Nettozuwachs von 54 neuen Standorten in der ambulanten Pflege im bevölkerungsreichsten Bundesland führt.

Gleichzeitig erweist sich Bayern auch in der ambulanten Pflege als das Bundesland mit dem größten Standortabbau. Trotz insgesamt 65 neu eröffneter Pflegedienststandorte muss das Bundesland aufgrund zahlreicher Schließungen (99) einen nominalen Verlust von 34 Standorten hinnehmen.

Entwicklung der Tagespflege im Jahr 2022 – Anzahl der Tagespflegen erhöht sich um rund 270 Standorte

Statistik Entwicklung der Pflege im Jahr 2022 - Tagespflege - Halbjährliche Betrachtung

Eindeutiger Gewinner der Entwicklung im vergangenen Jahr ist die teilstationäre Tagespflege. Hier zeigt die Standortentwicklung einen deutlichen Anstieg bei gleichzeitig wenigen Schließungen. Auch das Neubauvolumen entwickelt sich positiv. Insgesamt wurden von Januar bis Dezember 2022 rund 292 neue Tagespflegeeinrichtungen eröffnet – gleichzeitig wurden 24 Einrichtungen geschlossen, so dass sich ein Nettozuwachs von 268 Tagespflegeeinrichtungen ergibt.

Zwar ist auch in der Tagespflege im zweiten Halbjahr eine Abschwächung des positiven Marktwachstums zu beobachten (nur noch 138 neu eröffnete Tagespflegen gegenüber 154 Standorten im ersten Halbjahr 2022), dennoch deuten die sinkende Zahl der geschlossenen Tagespflegen sowie die Zunahme der Neubauten (27 neue Standorte im Bau) auf ein positives Marktwachstum in diesem Segment hin. Nicht zuletzt gehört die Tagespflege auch zu den am stärksten wachsenden Segmenten in der Pflege (Standortwachstum von 46 Prozent von 2018 bis 2022) und scheint sich konzeptionell auch in der aktuellen Krisenzeit zu bewähren.

Wie in der vollstationären und ambulanten Pflege zeigt sich auch in der Tagespflege ein besonders starkes zweites Quartal 2022 mit 85 Neueröffnungen – während das dritte Quartal insgesamt das schwächste bleibt (nur 61 Neueröffnungen), zeigt sich das vierte Quartal bereits wieder mit einer steigenden Anzahl an Neueröffnungen und der höchsten Anzahl an neuen Tagespflegeeinrichtungen im Bau.

Auch bei der Platzentwicklung zeigt sich die Tagespflege deutlich positiv – insgesamt konnten, bereits unter Berücksichtigung der geschlossenen Standorte, 5.447 neue Plätze ans Netz gebracht werden.

Während in den vorangegangenen Segmenten die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg aufgrund zahlreicher Schließungen kaum von der ebenfalls hohen Anzahl an neuen Standorten profitieren konnten, zeigt sich im Bereich der Tagespflege aufgrund der insgesamt sehr wenigen Schließungen ein deutlich positiveres Bild. Zwar verzeichnen auch hier Baden-Württemberg (6) und Bayern (5) die meisten Standortschließungen, aufgrund der deutlich höheren Anzahl an Neueröffnungen fallen diese jedoch kaum ins Gewicht, so dass Nordrhein-Westfalen (Standortwachstum von 60 Tagespflegeeinrichtungen), Bayern (Standortwachstum von 49 Tagespflegeeinrichtungen) und Baden-Württemberg (Standortwachstum von 29 Tagespflegeeinrichtungen) ein deutliches Wachstum verzeichnen. Keine positiven Veränderungen gab es dagegen nur in Hamburg, wo sich die Zahl der neu eröffneten und der geschlossenen Tagespflegen die Waage hielt.

Auswirkungen Sachkostensteigerung und Tariftreuegesetz

Bei den in jüngster Zeit bekannt gewordenen Insolvenzen wurde häufig die steigende Inflation und die damit verbundenen Sachkostensteigerungen als Ursache für die wirtschaftliche Schieflage von Pflegeunternehmen genannt. In der Tat können Sachkostensteigerungen erhebliche Auswirkungen auf Pflegeunternehmen haben. Unter Sachkosten versteht man die Kosten für alle Materialien, Geräte, Arzneimittel und Dienstleistungen, die für die Erbringung von Pflegeleistungen erforderlich sind. Steigen diese Kosten, kann dies zu einer Verringerung des Gewinns oder sogar zu einem Verlust für das Unternehmen führen.

Pflegedienste hatten mit steigenden Betriebskosten aufgrund der stark gestiegenen Benzinpreise zu kämpfen – Tagespflegeeinrichtungen und Pflegeheime litten spürbar unter steigenden Energie- und Heizkosten, während die ebenfalls gestiegenen Baukosten und Lieferengpässe den Bau neuer (Pflegeheim-)Standorte zum Erliegen brachten, wie die Daten ebenfalls zeigen.

Während diese Sachkostensteigerungen zweifellos einen spürbaren Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Pflegemarktes im Jahr 2022 hatten, zeigt insbesondere die Betrachtung der Entwicklung in den einzelnen Quartalen einen weiteren wichtigen Faktor – die neue Tarifpreisbindung.

Zum 01.09.2022 ist das neue Pflege-Tariftreuegesetz in Kraft getreten. Das bedeutet, dass seit dem 01.09.2022 nur noch solche Pflegeeinrichtungen zur Pflege zugelassen werden und mit der Pflegeversicherung abrechnen können, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte mindestens nach Tarif bezahlen. Dabei wurden unterschiedliche Untergrenzen für verschiedene Qualifikationen festgelegt:

  • für ungelernte Pflegehilfskräfte 13,70 Euro
  • für ausgebildete Pflegehilfskräfte 14,60 Euro
  • für Pflegefachkräfte 17,10 Euro

Um dieses Tarifniveau nachzuweisen, mussten die Pflegebetreiber bestehende Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen übernehmen. Bereits in einer Umfrage Ende August 2022 haben uns einige der größten Betreiber bestätigt, dass das neue Tariftreuegesetz erhebliche Auswirkungen auf die Branche haben wird.

Insbesondere im Bereich der Pflegeheime und Pflegedienste ist im dritten Quartal – passend zum Tariftreuegesetz – ein deutlicher Rückgang der Neugründungen und ein Anstieg der Schließungen zu verzeichnen. Auch in anderen Bereichen zeigt das Tariftreuegesetz deutliche Auswirkungen: Vom 01.09.2022 bis zum 31.09.2022 wurden in insgesamt 3.209 Pflegeheimen die Kostensätze angepasst. In den Monaten Juli und August waren es 709 bzw. 787 Anpassungen.Es muss auf allen Ebenen erreicht werden, dass die Pflege die Aufmerksamkeit erhält, die ihr seit Jahren fehlt. Dies gilt für Politik, Medien und Gesellschaft gleichermaßen. Dazu gehört insbesondere das Bewusstsein, dass gute Pflege und Betreuung mit fairer Bezahlung und ausreichenden personellen Ressourcen ihren Preis hat. Diese Kosten müssen in nachhaltige Finanzierungsstrukturen überführt werden.

Gerade die zahlreichen Schließungen in Bayern zeigen hier deutlichen Handlungsbedarf. Bereits im August 2022 sah die Arbeitsgemeinschaft privater Pflegeverbände die ambulante Pflege in Bayern aufgrund der stark steigenden Kosten als gefährdet an.

Insgesamt zeichnet sich auch für 2023 ein herausforderndes Jahr für die Pflege ab, wie insbesondere auch die ersten Insolvenzen zu Beginn des Jahres zeigen – dennoch zeigen Konzepte wie die Tagespflege oder weiter wachsende – und lösungsorientierte – Betreiber eine positive Richtung.