Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege ausgezeichnet, die wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Andreas Mildner, Geschäftsführender Gesellschafter bei Hera Residenzen, erneut zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview unter anderem mit ihm darüber gesprochen, welchen Blick junge Führungskräfte auf die Branche haben, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind und wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Pflege aussehen kann.
Was begeistert Sie an der Pflegebranche und wie sehen Sie die Entwicklung des Marktes dieses Jahr und im kommenden Jahr?
Mildner: Es gibt jede Menge tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche am Wohl unserer Kundinnen und Kunden interessiert sind. Für diese geht es in ihrem Tun um eine Berufung und sie liefern einen großen Mehrwert für die zu Pflegenden und deren Angehörigen.
In diesem und kommenden Jahr wird sich eine gewisse Konsolidierung weiter fortsetzen. Es wird zusehends schwerer allein zu bestehen. Als inhabergeführter Unternehmer eines Pflegedienstes kann man erfolgreich sein, aber häufig ist dies mit großem Einsatz des Unternehmers verbunden.
Haben Sie sich bewusst für die Branche entschieden und würden Sie sich wieder dafür entscheiden? Warum?
Mildner: Ich habe mich bewusst für die Pflegebranche entschieden und tatsächlich ist mein ganzes berufliches Denken darauf ausgerichtet. Wir sind mit dem Ziel gestartet durch den Zusammenschluss mehrerer Pflegedienste einen zusätzlichen Nutzen für die einzelnen Pflegedienste und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schaffen. Dies ist eine deutlich schwerere Aufgabe, als ich zunächst gedacht hätte. Inzwischen sind wir aber so weit, dass jeder Pflegedienst, der Teil der Hera Residenzen Gruppe wird, auch davon profitiert, indem er moderne Strukturen, Prozesse, IT und Best Practices nutzen kann. Ich bin mir sicher, dass wenn wir hart und fokussiert weiterarbeiten, wir in den nächsten Jahren für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Kundinnen und Kunden und auch den Pflegemarkt einen immer größeren Mehrwert liefern werden. Dies ist eine große, herausfordernde und spannende Aufgabe, welche mich motiviert.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen in der Pflegebranche? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)
Mildner: Meines Erachtens ist die größte akute Herausforderung der Pflegebranche die Finanzierung der Pflege. Seit Umsetzung des Tariftreuegesetzes sind die Löhne in der Branche extrem gestiegen. Wir finden es super, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Ihre Arbeit sehr gut vergütet werden. Gleichzeitig ist aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht durchhaltbar, wenn die Löhne weiter jedes Jahr zwischen 6 % und 10 % steigen. Weiterhin erfolgte die Refinanzierung der Kostensteigerungen für Pflegeeinrichtungen entweder in einem ungenügenden Umfang oder stark zeitversetzt. Dies hat viele Unternehmen an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht und zu einem großen Anstieg von Insolvenzen geführt. Zu guter Letzt sind die Kosten und Zuzahlungen für die zu Pflegenden aufgrund der Kostensteigerungen stark gestiegen. Entsprechend sind immer mehr Pflegebedürftige auf Sozialhilfe oder Hilfe zur Pflege angewiesen. Die Sozialämter sind jedoch zu großen Teilen nicht auf die steigende Zahl an Anträgen vorbereitet, weshalb die Bearbeitung der Anträge sehr lange dauert und die Finanzierung große Löcher in die öffentlichen Haushalte reißt, weshalb Rechnungen von Pflegeeinrichtungen stark zeitverzögert gezahlt werden.
In den nächsten zehn Jahren wird das personelle Problem die größte Herausforderung darstellen, da viele Mitarbeiter das Rentenalter erreichen und die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Vor dem Hintergrund gilt es zum Beispiel zu untersuchen, ob wirklich mehr als 3.000 Pflegefachkräfte beim Medizinischen Dienst arbeiten sollten.
Die Digitalisierung ist zugleich Herausforderung, aber auch Chance, die Arbeit abseits des Patienten für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren und unseren Kundinnen und Kunden und ihren Angehörigen eine größere Transparenz zu ermöglichen.
Die Regulierung / Bürokratie ist in Teilen eine große Herausforderung. Als Beispiel sei die SGB V Steigerung in Sachsen-Anhalt genannt. Hier wurde mit Kostenträgern Mitte dieses Jahres eine Steigerung vereinbart, welche rückwirkend zu 2023 in Kraft trat. Um die höheren Preise abrechnen zu können, müssen nun jedoch Rechnungen für gut 18 Monate storniert und neu gestellt werden und da sich ein Gebührenkennzeichen geändert hat, müssen teilweise diese Leistungen für die Vergangenheit neu verplant werden, bevor diese abgerechnet werden können. Dies ist ein bürokratischer Wahnsinn, welcher allen Beteiligten unnötig Zeit und Geld kostet.
Welche dieser Herausforderungen werden Ihrer Ansicht nach in 5 Jahren gelöst sein? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)
Mildner: Ich denke, dass beim Thema Digitalisierung in fünf Jahren die meisten Pflegeeinrichtungen diese in einem guten Umfang umgesetzt werden, wobei auch dann noch viel Luft nach oben bleiben wird.
Meine Hoffnung ist, dass die Refinanzierung der Pflege bis dahin neu und besser aufgestellt wird.
Die personellen Herausforderungen werden in fünf Jahren erst beginnen und zu dem Zeitpunkt noch lange nicht gelöst sein.
Wenn ich in die USA schaue, wo es in der nächsten Regierung eine Initiative zur Entbürokratisierung geben soll, bin ich vorsichtig optimistisch, dass es eine ähnliche Bewegung auch bei uns in Deutschland, beziehungsweise in der EU geben wird.
Was versuchen Sie als junge Führungskraft anders zu machen? Welche Dinge funktionieren dabei gut und welche weniger gut?
Mildner: Ich habe viel von Mentoren und älteren Führungskräften gelernt und versuche jeweils das Beste mitzunehmen und dies im Einklang mit meiner Persönlichkeit umzusetzen. Eine Kommunikation mit allen Mitarbeitern auf Augenhöhe ist dabei selbstverständlich. Gleichzeitig gilt es klassische Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Integrität vorzuleben, welche für ein funktionierendes, erfolgreiches Ganzes wichtig sind. Was funktioniert nicht gut? Passiv Pflegedienste aus der Ferne zu führen. Man muss regelmäßig in den einzelnen Pflegediensten sein und mit allen Beteiligten sprechen, alle Prozesse verstehen, um den Menschen vor Ort helfen zu können.
Buzzword KI – Was verstehen Sie darunter und wie kann KI konkret in der Pflege eingesetzt werden?
Mildner: Wenn ich mich nicht irre, wird KI bei der Arbeit direkt am Kunden keinen großen Mehrwert bieten. Im Hintergrund kann KI zukünftig an Bedeutung gewinnen, sei es bei der Tourenplanung, Dokumentation oder ähnlichen Prozessen. Hier sind wir meines Erachtens noch am Anfang
Über den Interviewpartner
Andreas Mildner
„Unser Ziel ist es, dass es unseren Kundinnen und Kunden gut geht und sie einen schönen Lebensabend haben. Dafür geben wir täglich unser Möglichstes. Seit Umsetzung des Tariftreuegesetzes ist es deutlich schwerer geworden, einen Pflegedienst wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben. Umso stolzer bin ich darauf, dass wir, trotz aller Probleme in Bezug auf die Refinanzierung der Pflegekosten, es geschafft haben, ein guter Arbeitgeber zu bleiben, höchste Ansprüche an das Wohl unserer Kundinnen und Kunden zu erfüllen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, damit wir unser vorgenanntes Ziel auf Dauer verfolgen können.“
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