Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege ausgezeichnet, die wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Philipp Seifert, Geschäftsführer bei PflegeButler Hildesheim, zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview unter anderem mit ihm darüber gesprochen, welchen Blick junge Führungskräfte auf die Branche haben, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind und wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Pflege aussehen kann.

Was begeistert Sie an der Pflegebranche und wie sehen Sie die Entwicklung des Marktes dieses Jahr und im kommenden Jahr?

Seifert: Die Pflegebranche begeistert mich nun seit 17 Jahren. In jeglichen Bereichen der Pflege, in allen Hierarchiestufen, ist die Altenpflege, meiner Meinung nach, das potentialreichste Berufsfeld. Von der fachlichen Weiterbildung bis zum Top Management steht allen jeder Weg offen. Aufgrund der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen herrscht ein großes potential zu gestalten und zu verändern.

Ich sehe nach den letzten 2 Jahren für dieses und nächstes Jahr einen leichten Aufschwung wieder in der Branche. Die ersten Projekte fangen wieder an, M&A Prozesse gehen los, und der Markt ist wieder bereit zu wachsen. Ob wir das verlorene der letzten 1,5 Jahre jedoch aufholen können ist fraglich. Ich sehe vor allen Dingen Änderungen, die nicht angeschobenen wurden (gesagt sei nur Pflegeassistenzausbildung als ein Beispiel) oder nicht bis zu Ende gedacht/geplant sind als schwierig an. Dinge, wie die Lebenslangebeschäftigtennummer wurde von allen Vorbereitet und kurzfristig verlängert. Themen wie die Versorgung chronischer Wunden hängen, da die Kostenträger nicht bereit sind vernünftig zu refinanzieren. Unternehmen bereiten sich vor, bilden aus und werden dann am langen Arm hingehalten. Das hemmt unternehmerisches Wachstum und somit auch eine qualitativ hochwertige Versorgung.

Haben Sie sich bewusst für die Branche entschieden und würden Sie sich wieder dafür entscheiden? Warum?

Seifert: Ich habe mich bereits bewusst 2007 für diese Branche entschieden. Mir war es von Anfang an wichtig, die Basisarbeit zu erlernen, zu verstehen und Potentiale daraus abzuleiten. Daher habe ich mich für die klassische Altenpflegeausbildung entschieden. Um ein tiefergehendes betriebswirtschaftliches und organisatorisches Verständnis zu erhalten, habe ich daraufhin ein Studium aufgesattelt – war aber weiterhin immer in allen Facetten der Langzeitpflege tätig. Danach bin ich den klassischen Weg der Führungspositionen, von der PDL über bis zur Regionalleitung durchlaufen, bevor ich in die Selbstständigkeit wechselte.

Ich würde diesen Weg definitiv wieder so wählen und auch die Branche Altenpflege wieder wählen. Und ich würde es auch jedem, der die entsprechenden sozialen Kompetenzen hat, empfehlen, diese Branche zu wählen.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in der Pflegebranche? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)

Seifert: Ich sehe das aktuell größte Problem in der Position der Altenpflege in der Politik in Deutschland. Unser amtierender Gesundheitsminister hat das Thema der Pflege immer wieder angekündigt aber keine Maßnahmen umgesetzt. Alle „Reförmchen“ aus der Vergangenheit haben zu einer Überregulierung und/oder eine schwierige wirtschaftliche Lage für Betreiber und Pflegebedürftige geführt – jedoch nicht zu einer ganzheitlichen Verbesserung. Der Fahrplan ist nicht erkennbar oder wird gekippt. Leider sind in entscheidenden Fragen oder Gremien, z.B. im Gemeinsamen Bundesausschuss, die Langezeitpflege nicht vertreten.

Dies ist für mich die Ursache, die die Probleme, die die Branche hat, verursacht, Lösungen verlangsamt oder aussetzt; ein Beispiel: Nach der Einführung der Tariftreueregelung gibt es Bundesweit kein abgestimmtes Verfahren zur Vergütungsverhandlung im ambulanten Sektor. Wieso sollen Löhne in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein (und ich spreche hier nur vom SGB XI) anders verhandelt werden (müssen) als in Niedersachsen? Es gibt Modelle, wie z.B. Niedersachsen, die sich als Verfahren bewährt haben, und eine Punktwertsteigerung nach 14 Tagen abgeschlossen ist. Ein Ziel, welches vor 4 Jahren noch undenkbar war und in anderen Bundesländern heute noch ist.

Welche dieser Herausforderungen werden Ihrer Ansicht nach in 5 Jahren gelöst sein? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)

Seifert: Die großen Änderungen, sind zum großen Teil verschleppt worden – nicht nur auf politischer Ebene sondern auch von den Vertragsparteien. Ich sehe die großen Änderungen nur, wenn diese auch mit Druck durchgesetzt werden, auf allen Seiten der Leistungsträger und Erbringer. Wenn dieses kommt, werden wir die größten Erfolge in der Digitalisierung erzielen können, durch die TI Anbindung und die Vernetzung im interdisziplinären Team.

Was versuchen Sie als junge Führungskraft anders zu machen? Welche Dinge funktionieren dabei gut und welche weniger gut?

Seifert: Ich versuche Eindrücke anderer Industriezweige, die in der Organisation viel weiter sind als die Pflegebranche, einzubringen. Aufgrund des regionalen Freundeskreises habe ich z.B. sehr guten Einblick die Automobilbranche. Wie digitale Prozesse und Anwendungen dort gelebt werden – davon kann unsere Branche zeitweise nur träumen. Dies ist ein elementarer Baustein, um ein Unternehmen neu und zukunftsorientiert auszurichten.

Durch meinen Werdegang habe ich viele Fehler in Organisationen erlebt, z.B. Umgang mit Auszubildenden, mit Mitarbeitern und Prozessen. Hier versuche ich eine größtmögliche Beteiligung aller Akteure zu erzielen, um gleichwohl eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz zu erreichen.

Letztendlich ist es aber auch der Führungsstil – hier wird von allen Führungskräften der kategorische Imperativ nach Kant: „ Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ – oder einfach: „Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

Buzzword KI – Was verstehen Sie darunter und wie kann KI konkret in der Pflege eingesetzt werden?

Seifert: Ich sehe KI in zwei Bereichen – zukünftig und aktuell.

In der Zukunft werden Programme zur Spracherkennung in der Dokumentation mehr unterstützten, als sie es heute schon können. Die Personaleinsatzplanung wird eine KI komplett übernehmen können ebenso gewisse Dokumentationen im pflegerischen Bericht.

Aktuell sehe ich OpenAI Produkte wie ChatGPT als hilfreich an. Ein gutes Beispiel ist die Planung eines Social Media Content Kalender. Hierfür müssen wir aber eine neue Sprache lernen. Aktuell sind auf „google“ gepolt, stichwortartige Suchanfragen. Mit Chatbots müssen wir neu kommunizieren lernen. Dann können Chatbots uns in vielen Themen supporten und jetzt schon eine große Hilfe sein. Die Risiken und Gefahren sind jedoch aktuell schwer abzuschätzen.

Denn wir stehen am Anfang der Technologie!

Über den Interviewpartner

Philipp Seifert

„Die Pflegebranche steht erneut vor erheblichen Herausforderungen. Neben dem anhaltenden Fachkräftemangel kommen in den kommenden Monaten zusätzliche Belastungen wie steigender Kostendruck, Reformen und neue Versorgungsmodelle hinzu. Der Pflegemarkt befindet sich in einem Wandel, wie seit 25 Jahren nicht mehr. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, sind nicht nur unternehmerische Entscheidungen erforderlich, sondern auch politische Maßnahmen von großer Bedeutung. Es ist inakzeptabel, dass die Langzeitpflege in politischen Diskussionen oft nicht ausreichend berücksichtigt wird und Entscheidungen hauptsächlich von Krankenhaus- und Ärzteinteressen dominiert werden.“

Philipp Seifert proVida