Mit der jährlichen Auszeichnung Top 40 unter 40 werden junge Führungskräfte in der Pflege aus,  die bereits zu den führenden Akteuren der Pflege gehören, wichtige Aufgaben im Pflegemarkt übernehmen und Innovationen vorantreiben. In diesem Jahr zählt auch Sören Hammermüller, COO bei der DEUTSCHEFACHPFLEGE, erneut zur Auswahl der Top 40 unter 40. Wir haben in einem exklusiven Interview unter anderem mit ihm darüber gesprochen, welchen Blick junge Führungskräfte auf die Branche haben, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind und wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Pflege aussehen kann.

Was begeistert Sie an der Pflegebranche und wie sehen Sie die Entwicklung des Marktes dieses Jahr und im kommenden Jahr?

Hammermüller: Mich begeistert die unmittelbare Interaktion – sowohl im Sinne der Personaldienstleistung zusammen mit unseren über 12.000 Mitarbeitenden und ihren kreativen Köpfen, die sich darüber Gedanken machen, wie wir in Zukunft die pflegerische Versorgung sicherstellen können. Als auch natürlich, gesamtgesellschaftlich etwas Gutes und Sinnstiftendes zu tun.

Für mich persönlich ist es darüber hinaus der unternehmerische Aspekt in einem stark regulierten Markt, der immer wieder neue, zum Teil kritische, aber stets spannende Herausforderungen mit sich bringt.

Im den letzten Jahren sehen wir eine unfassbare Kostenexplosion – sowohl hinsichtlich der Sachkosten, aber auch im Bereich der Personalkosten. Und gleichzeitig eine durchaus besorgniserregende Regulation der Refinanzierung von ambulant pflegerischer Leistung in der außerklinischen Intensiv- und Altenpflege. Es ist mit großer Sorge zu beobachten, wie viele Marktbegleiter da in wirklich schwierige Situationen kommen – für die Unternehmen selbst, aber auch für die hilfsbedürftigen Menschen, die sie versorgen.

Haben Sie sich bewusst für die Branche entschieden und würden Sie sich wieder dafür entscheiden? Warum?

Hammermüller: Ich bin gelernter Intensivpfleger und Pflegewissenschaftler. In Kombination mit meinem Management-Studium war mein Weg für die Branche schon immer vorgezeichnet und gibt mir inhaltlich und emotional, für die Leistung, die wir als Unternehmen bringen, nochmal ein ganz besonderes Feingefühl mit.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in der Pflegebranche? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)

Hammermüller: Im Bereich der Intensivpflege sind momentan die größten Herausforderungen die Regulationen, die zuvor kaum einer Machbarkeitsstudie unterzogen wurden: insbesondere das Thema Bundesrahmenempfehlungen zur außerklinischen Intensivpflege, als auch das komplette Verordnungswesen in der außerklinischen Intensivpflege mit den Voraussetzungen der ärztlichen Potenzialerhebung, für die es im deutschen Gesundheitswesen überhaupt keine Ressourcen gibt, sie umzusetzen.

Das stellt vor allem unsere Klientinnen und Klienten vor große Existenzängste – und damit auch ein Stück weit uns. Denn dadurch haben wir zum einen eine immer größere Planungsunsicherheit und ein unternehmerisches Risiko. Und auf der anderen Seite haben wir nach wie vor Probleme, unsere Leistung zu refinanzieren. Wir sehen, dass wir im Bereich der Digitalisierung an allen Stellen, an denen wir selbst agieren können, ganz gut vorankommen. Aber insbesondere an den Stellen, an denen wir durch die Branche selbst (zum Beispiel die digitale Abrechnung mit den Krankenkassen) auf unsere Kooperationspartner und Leistungsträger angewiesen sind, werden wir seit Jahren maßlos ausgebremst. Auch bei der lebenslänglichen Beschäftigtennummer z.B. (LBNR) kommt es häufig dazu, dass große Regulationen auf den Markt geworfen werden, die für große Unternehmen kaum händelbar sind, wir die Herausforderungen dann dennoch gemeistert bekommen.

Und dann können die betreffenden Behörden nicht einmal durch diejenigen, die sie verabschiedet haben, in der selbst gesteckten Frist administriert werden. So kommt es immer wieder zu Fristverlängerungen. Egal ob LBNR oder Potenzialerhebung in der Intensivpflege, digitale Leistungsnachweise oder die Übermittlung von Informationen an die Krankenkassen – da könnte die freie Wirtschaft im pflegerischen Bereich schon viel weiter sein, wenn es da nicht solche Hürden gäbe.

Welche dieser Herausforderungen werden Ihrer Ansicht nach in 5 Jahren gelöst sein? (z.B. Regulierung, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Personal, …)

Hammermüller: Ich glaube, dass wir bei all den Themen einen Riesenschritt nach vorn kommen werden. 5 Jahre sind auf der einen Seite natürlich nicht viel. Auf der anderen Seite sieht man aber, was sich in 5 Jahren tun kann und muss. Gleichwohl muss es insbesondere in der Gesundheitspolitik ein maßgebliches Umdenken geben. Und wir müssen heute anfangen, nicht weiter in Debatten zu stecken, in denen wir nur über den demografischen Wandel und seine Herausforderungen insbesondere in Bezug auf den Umfang von Pflegebedürftigkeit in Deutschland in der Zukunft sprechen, sondern uns klarmachen, dass wir jetzt mitten in der Realität angekommen sind und damit auch die Politik gezwungen ist, zu reagieren. Gern bring ich mich hier mit Ideen und Lösungsansätzen ein.

Was versuchen Sie als junge Führungskraft anders zu machen? Welche Dinge funktionieren dabei gut und welche weniger gut?

Hammermüller: Das fängt beim Thema Unternehmensführung, flachen Hierarchien, einer guten Fehlerkultur an und geht weiter mit der Tatsache, dass wir Digitalisierung nutzen, um uns in Strukturen, Prozessen und Handlungsabläufen deutlich zu verschlanken, die Dinge zu vereinfachen und damit Komplexität zu nehmen. Gleichwohl sind wir durch unheimlich viel neu geschaffene Regulationen auch immer wieder Komplexitäten ausgesetzt, denen wir uns kaum entziehen können. Umso wichtiger ist es, dass wir als Unternehmen bei den Themen, die wir selbst in der Hand haben, in eine Vorreiterrolle gehen.
Ich versuche, Innovationen in allen Bereichen voranzutreiben, um die Qualität in der Pflege zu sichern und auszubauen. Qualität beginnt in strukturierter, professioneller Versorgung und Organisation und zeigt sich in messbaren Kennzahlen und am Ende auch in zufriedenen und glücklichen Gesichtern.

Buzzword KI – Was verstehen Sie darunter und wie kann KI konkret in der Pflege eingesetzt werden?

Hammermüller: Wir können KI in der Versorgungslandschaft natürlich nutzen, um zur rechten Zeit den Blick auf die richtigen Dinge zu richten. Sowohl bei administration eines großen unternehmens, wie auch konkret in der Pflege. Das Digitalisierungsthema spiegelt sich in unserem Unternehmen u. a. in der Nutzung von Telemedizin wider. Einen großen Fokus haben wir in diesem Jahr außerdem auf einen einzigartigen Frühwarn-Regelkreis in unseren Intensivversorgungen gelegt (Stichwort Komplikationsvermeidung und frühzeitiges Komplikationsmanagement), den unser QM gemeinsam mit unserem Fachteam für medizinische Behandlungspflege (FmB), dem Bereich Digitalisierung und den Pflegekräften entwickelt und umgesetzt hat. All diese Professionen arbeiten dabei regelhaft zusammen. Ein digital gestützter Algorithmus erfasst zu diesem Zweck fortlaufend automatisiert die Vitalwerte der Klientinnen und Klienten und warnt bei Überschreitung individuell festgelegter Schwellenwerte – noch bevor es überhaupt zu Komplikationen kommen kann. FmB und Pflegekräfte setzen sich dann umgehend in Verbindung, um die Situation zu entschärfen.

Darüber hinaus spielt KI eine entscheidende Rolle bei Themen wie Prozessoptimierung, Sturzrisikoerfassung, Maßnahmenplänen für Klientinnen und Klienten, eine effizientere Tourenplanung oder eine auf die Mitarbeitenden ausgerichtete Dienstplanung. Ich möchte den Weg der Digitalisierung zudem nutzen, um Prozesse nicht einfach „stumpf“ zu digitalisieren, sondern sie zu überdenken, zu vereinfachen und zu moderneren um letztlich auch Zeit zu gewinnen, denn eine überholdungbedürftiger Prozess bleibt ein überholungsbedürftiger Porzess, egal ob digital oder analog.

Über den Interviewpartner

Sören Hammermüller

“Die DEUTSCHEFACHPFLEGE setzt Maßstäbe. Als einer der größten Anbieter der Versorgungslandschaft ist sie beispielgebend in der gesamten Pflegebranche. Mehr noch: Im Austausch mit Politik und Wissenschaft strebt sie ihre Optimierung an – zugunsten der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind.
Qualität entsteht darüber hinaus vor allem in den Versorgungen. Um sie zu gewährleisten und weiter auszubauen, treiben wir u. a. die Sammlung und Auswertung von Kennzahlen ganz genauso 

wie innovative Lösungen voran. All das mündet aktuell in einem digital gestützten, interdisziplinären Frühwarn-Regelkreis in unseren Versorgungen der Intensivpflege, der schleichende Veränderungen des Gesundheitszustandes vorzeitig erkennt und Alarm schlägt, bevor es zu Komplikationen kommen kann. Weil Pflege so viel mehr ist, komplettiert die Zusammenarbeit von Pflegekräften und unseres Fachteams für medizinische Behandlungspflege (FmB) die neue Dimension der Sicherheit dieses einzigartigen Frühwarnsystems.”