Große und kleine Betreiber mit gemeinnützigen, privaten sowie kirchlichen Trägern geraten nach und nach in wirtschaftliche Not. Von Januar bis einschließlich September des laufenden Jahres mussten 112 Unternehmen unterschiedlicher Trägerschaften Insolvenz anmelden. Von diesen Insolvenzverfahren betroffen sind bisher 300 Pflegeheime mit insgesamt 22.000 Pflegeplätzen und 210 Pflegedienste mit 10.500 Versorgungen. Im Vorjahr wurden 74 Insolvenzmeldungen von Unternehmen in der Pflegebranche erfasst, vorwiegend aus dem ambulanten Sektor. Bereits nach der ersten Jahreshälfte 2023 wurde diese Anzahl überschritten. Im dritten Quartal waren, ähnlich wie zu Beginn des Jahres, auch größere Träger mit insgesamt 103 Pflegeheimstandorten und 35 Pflegedienststandorten betroffen. Dies entspricht mehr als 8.800 stationären und mehr als 3.300 ambulanten Versorgungen.

Neben den Insolvenzmeldungen einiger großer Betreiber zu Beginn des Jahres wie Convivo, Curata, Hansa, Dorea und Novent, wurden in den vergangenen Monaten weitere Insolvenzen von großen Betreibern bekannt. So befindet sich die DIE DIAKONIE – Pflege und Gesundheitsdienst gGmbH aus Lübbecke mit 185 stationären und 478 ambulanten Versorgungen in einem Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung. Für den Pflegeheimbetreiber Aquis Care GmbH, nun Lares GmbH, wurde im August das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Portfolio zählen 8 stationäre Einrichtungen, von denen die Mehrheit bereits von anderen Betreibern übernommen werden konnte. Der Oktober startete darüber hinaus mit der Meldung des AWO Bezirksverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V, der beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf ein Eigenverwaltungsverfahren gestellt hat. Betroffen sind hier 304 ambulante und 882 stationäre Versorgungen. Der Blick auf die vergangenen Monate verdeutlicht die Dynamik im Markt: Die Insolvenzmeldungen nehmen weiter zu und es trifft nicht nur private Träger, sondern auch Organisationen der gemeinnützigen Verbände.

Unsere Umfrage im Zeitraum von Juni bis Juli 2023 unter 50 teilnehmenden Betreibern zeigt, dass Pflegeheime oftmals nicht eigenverschuldet in diese Lage geraten (Insolvenzen, Einbruch der Neubauten, starker Anstieg der Sozialhilfe in der Pflege – Stimmen aus der Branche (pflegemarkt.com). Als Ursachen für die Liquiditätsproblematik werden die schleppenden Verhandlungen mit den Pflegekassen, die Multi-Krise und die damit steigenden Kosten, der Anstieg der Sozialhilfe sowie die sinkende Belegung genannt. Hierzu gibt es auch Untersuchungen der Fachverbände.

Der Schließung zahlreicher Pflegeeinrichtungen steht ein kontinuierlicher Bedarfsanstieg an Pflegeplätzen gegenüber, der die aktuelle Situation drastisch verschärft. Es zeigt sich, dass viele Betreiber zukünftig nicht mehr handlungsfähig sind und die aktuellen Herausforderungen nicht stemmen können.

Fraglich und politisch zu diskutieren ist, wie die steigenden Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden sollen. Der Wegfall an Pflegeplätzen aufgrund von Insolvenzen kann die steigende Anzahl an Pflegebedürftigen nicht tragen.

Die Bundesregierung sieht derzeit keine Schließungswelle, wenngleich eine „etwas höhere Zahl an Insolvenzen“ im Vergleich zu früheren Zeiträumen zu verzeichnen sei, schreibt sie in ihrer Antwort. [1]

Unserer Ansicht nach muss die Politik zur Unterstützung der Unternehmen schnellstmöglich Lösungen finden. Mit einem eindringlichen Appell gehen aus der Umfrage folgende Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen hervor.

Die wichtigste Sofortmaßnahme besteht in einer Liquiditätssicherung durch Abschlagzahlungen, um das entstehende Delta bedingt durch höhere Kostensätze bei gleichzeitiger Auszahlungsverzögerungen auszugleichen. Es benötigt schnellstmöglich einer Gesetzesgrundlage, um einen weiteren starken Anstieg an Insolvenzen in den nächsten Monaten einzudämmen. Zudem sollte eine wirkungsvolle Investitionsförderung noch in diesem Jahr beschlossen werden.

Es gilt außerdem, die Hürden bei der Rekrutierung ausländischer Fach- und Hilfskräfte schnellstmöglich zu reduzieren. Der Föderalismus steht diesem im Weg, es benötigt einheitliche Regelungen auf Bundesebene. Alleingänge einzelner Bundesländer helfen nicht weiter. Nicht nur Rekrutierung, auch Anerkennungsverfahren müssen vereinheitlicht und somit beschleunigt werden. Der derzeit geltende Bürokratieaufwand hemmt und führt nicht selten zu einer Heimkehr der Fachkräfte noch ehe ihre Qualifikation anerkannt wurde.

Um das medizinisch geschulte Personal effizient einsetzen zu können und Belegungstopps, welche mit Liquiditätseinbußen einhergehen, zu vermeiden, sollte eine Neuregelung der Fachkraftquote beschlossen werden. Dies beinhaltet auch eine Reform des Einsatzes von pflegerisch geschultem Hilfspersonal. PEBEM kann ein Anfang sein, allerdings fehlt es hier noch an praxistauglichen Umsetzungsvorschlägen.

Die Politik scheint die Probleme nicht wahrzunehmen. Es empfiehlt sich, die Situation ernst zu nehmen, mit den Betreibern zu sprechen und ihnen zuzuhören. Um langfristige Versorgungssicherheit zu gewährleisten, bedarf es an einer Planungssicherheit für die Investoren. Ansonsten fehlen in den nächsten 25 Jahren mehr als 100.000 Plätze für schwerstpflegebedürftige Menschen.

Eine ausführliche Analyse zur aktuellen Situation mit dem Titel “Pflegefall Pflege? – Nur Einzelfälle oder Trend?”, die der Leiter Daten & Research von pflegemarkt.com, Sebastian Meißner, kürzlich beim Event “Senior Living” der Süddeutschen Zeitung in München vorgestellt hat, können Sie sich als Pflegemarkt.Insight Kunde im Downloadbereich herunterladen.


[1] Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Bundestags vom 23.08.2023: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-963402