Menschen in Deutschland sind immer länger pflegebedürftig. In den kommenden Jahren wird sich die durchschnittliche Pflegedauer nahezu verdoppeln. Zudem schnellen die Ausgaben je pflegebedürftiger Person im Schnitt um 50 Prozent in die Höhe. Diese brisanten Erkenntnisse gehen aus dem aktuellen Pflegereport der BARMER hervor.
„Die Soziale Pflegeversicherung überschreitet bereits jetzt ihre finanzielle Belastungsgrenze. Die Bundesregierung darf die Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige nicht im Stich lassen und muss endlich für finanzielle Entlastung sorgen. Dazu gehört an erster Stelle die umgehende Befreiung der Sozialen Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen, so wie es die ehemalige Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen hatte“, fordert Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER.
Dabei sollte eine neue Bundesregierung umgehend dafür sorgen, dass vor allem ausstehende Pandemiekosten von mehr als fünf Milliarden Euro und die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige vollständig aus Steuermitteln erstattet beziehungsweise übernommen werden. Zudem sollte die Ausbildungskostenumlage für Pflegekräfte aus Steuereinnahmen finanziert werden.
Durchschnittliche Pflegedauer verdoppelt sich beinahe
Laut Pflegereport wird sich die Pflegedauer in Deutschland dramatisch erhöhen. Bei kürzlich verstorbenen Pflegebedürftigen lag sie noch bei durchschnittlich 3,9 Jahren. Bei aktuell pflegebedürftigen Menschen wird sie sich nach BARMER-Berechnungen im Schnitt mit 7,5 Jahre nahezu verdoppeln. „Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 haben viele Menschen erstmals Leistungen der Pflegekassen erhalten, die diesen Anspruch vorher nicht gehabt hatten. Die Pflegedauer wurde dadurch erheblich verlängert, und die Kosten wurden deutlich erhöht“, sagt Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen.
Kürzlich verstorbene Pflegebedürftige hätten bei den Pflegekassen Leistungen im Wert von durchschnittlich 50.000 Euro beansprucht. Bei den aktuell Pflegebedürftigen würden diese Kosten bei rund 76.000 Euro liegen. Dieser Anstieg resultiere vor allem aus dem vermehrten Pflegegeldbezug, der sich als ein zentraler Kostenblock von 13.100 Euro auf 30.300 Euro mehr als verdoppele. Der tatsächliche, künftige Gesamtbetrag aller Leistungen könne sogar noch höher liegen als die prognostizierten 76.000 Euro, weil dieser Summe die Kosten für Pflegeleistungen des Jahres 2023 zugrunde lägen. Die Inflation und mögliche weitere Preissteigerungen seien dabei noch nicht berücksichtigt.
Löhne in der Pflege überproportional gestiegen
Wie aus dem Pflegereport weiter hervorgeht, herrscht aber nicht nur Reformbedarf in der Sozialen Pflegeversicherung aufgrund von längeren Pflegezeiten und immer mehr Pflegebedürftigen. Auch die Eigenanteile der Betroffenen für die stationäre Pflege steigen weiter an, obwohl die Politik bereits kostendämpfende Maßnahmen zulasten der Sozialen Pflegeversicherung ergriffen hat. Allein in diesem Jahr kosten die gestaffelten Zuschläge zu den Eigenanteilen die Pflegekassen rund sechs Milliarden Euro. Gleichwohl sind die Eigenanteile seit dem Jahr 2022 wieder deutlich gestiegen. Den höchsten Zuwachs gab es hierbei mit einem Plus von 8,3 Prozent im vierten Quartal 2022.
„Die Versicherten könnten bei den Eigenanteilen aber auch entlastet werden, indem die Bundesländer die Investitionskosten für die Infrastruktur der Pflegeheime stärker übernehmen würden“, sagt Rothgang. Ein Grund für die wachsenden Eigenanteile seien gestiegene Löhne. In der Altenpflege seien sie in den Jahren 2015 bis 2023 um 59 Prozent bei Hilfskräften und um 53 Prozent bei Fachkräften gestiegen. Das sei mehr als doppelt so viel wie bei allen Beschäftigten mit einem Plus von 23 Prozent.
„Trotz höherer Löhne herrscht nach wie vor ein Mangel an Pflegefach- und Pflegeassistenzkräften vor. In Anbetracht von mehr pflegebedürftigen Personen und längeren Pflegezeiten wird der Bedarf künftig weiter steigen und diese Problematik somit noch größer. Auf die Politik wartet eine Mammutaufgabe, die spätestens eine neue Regierung nach der kommenden Bundestagswahl in Angriff nehmen muss“, sagt BARMER-Chef Straub.
(Quelle: BARMER-Pflegereport 2024)
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